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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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um gute, intelligente Leute handelte und sich alle rechtzeitig darauf einstellen konnten, fand sich eigentlich immer eine Lösung. Doch nicht bei mittelmäßigen, da war Hopfen und Malz verloren, das hatte Mariana inzwischen gelernt. Darum hatte sie erst im vergangenen Jahr schweren Herzens die Ortrud abgesagt, weil sie keine Lust hatte, gegen einen völlig ausgesungenen, abgeschlafften Telramund anzukämpfen. Die Ortrud sah Mariana nicht als böse, alte Hexe, so wie sie oft dargestellt wurde, sondern als stolze, leidenschaftliche junge Frau, immerhin die Tochter des ehemaligen Friesenherrschers. Auch war sie sich sicher, dass zwischen Telramund und Ortrud eine heftige, sinnliche Beziehung bestand, aber wie man die dann zum Ausdruck brachte, als Hörigkeit, kalte Leidenschaft, sogar Liebe, zu der auch Hass gehören konnte, das kam auf den Partner an. Vieles war möglich, doch einen alten, halbtoten Sack konnte man nicht becircen. Allerdings hatte Mariana auch die übrige Besetzung missfallen, eine weinerliche Elsa und ein an sich nicht schlechter, aber grauenvoll eitler und zu allem Überfluss intriganter Lohengrin, der immer, wenn er mit einer Sängerin ein Verhältnis hatte, diese als Partnerin durchdrückte. Wie eben auch hier die Elsa.
    Dergleichen ließ sich Mariana schon lange nicht mehr gefallen, und das war auch den Opernhäusern bekannt. Gerade darum war sie so wütend, dass man es jetzt offenbar nicht für nötig hielt, sie rechtzeitig zu benachrichtigen. Als sie sich beschwerte, bekam sie vom Direktor, einem alten Bekannten, zu hören: »Sei doch froh, dass es der Leo endlich gepackt hat, er wollte ums Verrecken nicht fort. Sein schönes neues Haus, die Kinder, seine Frau, die Rechtsanwältin ist, was meinst du, wie ungern die alles haben liegen und stehen lassen?« Mariana verspürte einen Kloß im Hals. Das hatte sie alles nicht so richtigmitbekommen, vor lauter Singen und Kinderkriegen und eigenen Plänen. Immerhin, so tröstete sie sich, konnten ihre Kollegen überall sonst auf der Welt weitersingen und sicher auch angenehm leben. Nur fehlten sie hier jetzt sehr.
    Das Gespräch hatte Mariana aufgeschreckt und traurig gemacht, aber immer noch begriff sie nicht ganz, um was es eigentlich ging. Vor fast zehn Jahren war sie zum ersten Mal nach Deutschland gekommen, von Anfang an hatte sie dort viele musische, beschauliche, aufgeschlossene Menschen kennengelernt, und das hatte sich bis jetzt nicht geändert. Nun gut, sie hatte auch immer mehr dieser Parteigenossen getroffen, die waren zwar lästig, ein durchaus unsympathischer Menschenschlag, aber doch keine blutrünstigen Verbrecher, vor denen man Hals über Kopf die Flucht ergreifen musste. Was konnte denn überhaupt etwas so Schreckliches passieren, mitten im Frieden, in einem kultivierten Land? Sicher war da viel Panikmache im Spiel.
    In Italien herrschten doch ganz ähnliche Zeitgenossen, aber niemand machte sich dort allzu große Sorgen. Allenfalls rangen einige wenige Leute die Hände über die furchtbaren städtebaulichen Zerstörungen, die auf Befehl Mussolinis seit Jahren in Rom und wer weiß wo sonst noch im Gange waren. Einmal hatte Pietro Mariana zu den Kaiserforen geführt und auf die Unmengen von Baumaschinen gedeutet, Bagger, Abrissbirnen, Betonmischer, Kräne, Lastwagen, die sich dort gleich emsigen Ungeheuern über die antiken Überreste hermachten, sie wühlten sich durch sie durch, trampelten darüber hinweg, rannten dagegen an. »Was immer sich ihnen in den Weg stellt, alles, alles muss weg. Ganze Berge tragen sie ab. Und den Rest, die unterirdischen Schätze, begraben sie unter Asphalt wie unter einem riesengroßen Sargdeckel. Niemand wehrt sich dagegen, wir haben ja noch genug alte Trümmer«, erklärte Pietro ganz verzweifelt.
    Ähnliche Aktionen schienen Mariana undenkbar in Deutschland, sicherlich hätte sie dort die Bevölkerung auchnicht stillschweigend hingenommen. Zeugte nicht allein das schon von einer zivilisierten, friedfertigen Haltung? Wie zur Bestätigung blieb auch weiterhin eine Reihe jüdischer Kollegen in ihrem deutschen Heimatland. Sonderbarerweise fing nun Mariana an, unruhig zu werden. Allein schon, dass man plötzlich wusste, wenn einer Jude war, fand sie mehr als befremdlich. Am Ende nahmen die Nationalsozialisten ihr Getue um die nordische Rasse doch ernst. Aber wenn sie die überlegen fanden, dann hielten sie andere Rassen für unterlegen, das Wort »minderwertig« mochte Mariana kaum denken, so abscheulich

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