Im Schatten der Tosca
nur Birgit. Und ein paar Opernintendanten, das war unumgänglich, immerhin wollte Mariana nicht während einer Vorstellung niederkommen. Doch eine Riesenpause plante sie nicht. Schon viele andere Kolleginnen hatten hochschwanger gesungen, anschließend nahmen sie das Baby eben mit. So wollte es auch Mariana halten.
Zum Glück legten sich ihre Beschwerden nach der ersten körperlichen Umstellung. »Das ist meine östliche Bärennatur. Wer bei so einem Klima überlebt, bei dreißig Grad Kälte, ich meine über ein paar Generationen, der hält schon was aus«, sagte sie zu Pietro. »Unsere Bauersfrauen, die kommen auf dem Feld nieder und schnallen sich dann ihr Neugeborenes in einem Tuch vor die Brust und arbeiten weiter«, meinte Pietro herzlos. Doch ohne dass sie es so richtig merkte, passte er auf, dass sie sich nicht übernahm.
Sie sang bis Ende November, ausgerechnet die wunderschöne Prinzessin Eboli. Aber der Kostümbildner hüllte sie in so prächtige, sich bauschende Gewänder, dass kaum jemand etwas bemerkte. Bei den vielen dicken Sängerinnen hatte er gelernt, übertriebene Ausmaße dekorativ zu überlagern.
Dem Kind, das spürte Mariana, gefiel die Singerei. Manchmal strampelte es vergnügt in ihrem Bauch. Aber es merkte auch, wann es Ruhe geben sollte. So verhielt es sich bei den Aufführungen mucksmäuschenstill. Offenbar fühlte es die Konzentration der Mutter, manchmal schien es Mariana, als spitze es gespannt die Ohren und atme mit.
Mitte Dezember brachte Mariana einen Jungen zur Welt. Selbstverständlich in Stockholm. Sosehr sie Pietro und Italien liebte, in einem so wichtigen Augenblick ihres Lebens wollte sie nach Hause, zu ihrer Mutter, heim in ihr Nest. Dort war sie gut aufgehoben, dort konnte sie sich erholen, das hatte sie schon früher erprobt.
Pietro schickte ihr aus Rom einen gewaltigen Rosenstrauß. Und dazu ein paar Zeilen: »Mit diesem Kind hast du mir das schönste, das größte Geschenk in meinem Leben gemacht ... Das allergrößte,
il massimo.«
Damit, so fand Mariana, hatte Pietro seinem Sohn auch gleich den Namen mit auf den Weg gegeben: Massimo.
Der kleine Massimo war noch keine drei Monate alt, da wurde er in ein Körbchen gepackt und auf seine erste Reise mitgenommen. So klein und handlich wird er nie mehr sein, dachte Mariana. Sie stillte ihn noch, aber ein paar Stunden bis zur nächsten Mahlzeit hielt er durch, zudem gab es lange Pausen. Wenn sie den kleinen Kerl im Arm hielt und er vor sich hin schmatzte, überkam sie ein tiefes, friedvolles Glücksgefühl. Viele ihrer Sängerkolleginnen strickten, schrieben Briefe oder legten Patiencen, um sich zu entspannen. »Wenn sie wüssten, wie wohl so ein Baby tut, müssten die Opernhäuser Kindergärten einrichten«, sagte Mariana zu Birgit, die, entzückt überihre Rolle als Großmama, den Kleinen mit betreute. Er war ausgesprochen brav und unkompliziert, ein fabelhaftes Reisebaby, schon im Mutterleib hatte es ihn in so vielen Zügen und auf Schiffen durcheinandergerüttelt, dass er dieses Schwanken offenbar liebte und brauchte.
Ein Problem gab es aber: Mariana hatte zugenommen. Doch sie wollte die neuentdeckte Mütterlichkeit nicht auch noch auf ihre Rollen übertragen. Knusprige junge Damen, schlanke Burschen, selbst alte, vom Leben gebeutelte Frauen wie die Azucena konnte sich Mariana nicht dicklich vorstellen, eher schienen sie ihr hager und verhärmt. Mariana fand es lächerlich, wenn es auf den Proben darum ging, ob jemand nach dem Hinknien wieder mit Anstand aufstehen konnte oder in diesen oder jenen Stuhl passte – eine besonders dicke Tosca blieb einmal in ihrem Sessel stecken, so dass sich Scarpia schließlich geistesgegenwärtig über sie warf, um von ihr ermordet werden zu können. Nein, dafür war Mariana eine zu leidenschaftliche Darstellerin. Vor allem schienen ihr die Opernfiguren Idealtypen zu sein – normale Menschen singen nicht –, und dazu gehörte auch eine schöne Erscheinung. Also hungerte Mariana tapfer, bis sie wieder in ihre alten Kostüme passte. Obwohl ihr dabei manchmal laut der Magen knurrte, die ungewohnten Hungergefühle kamen wahrscheinlich vom Stillen. Auf Alkohol verzichtete sie ganz. Das Glas Champagner gleich nach der Aufführung vermisste sie am meisten und beim Essen einen guten Wein.
Bald nahm das Leben für Mariana wieder seinen gewohnten, wenn auch etwas gemäßigteren Gang. Der kleine Massimo war immer dabei. Mariana hatte die animalische Vorstellung, dass eine Mutter und ihr
Weitere Kostenlose Bücher