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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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so was fängst du die Italiener. Nur nicht immer diese schweren, tristen Brocken«, hatte er ihr geraten und wahrlich recht behalten. Sogar die giftigen Spezialisten auf ihren Stehplätzen im Olymp hatten sie bejubelt und ihr, mangels Blumen, Kusshände zugeworfen. Seither galt Mariana gewissermaßen als Ehrenitalienerin, was ihre Ehe mit Pietro nicht vermocht hatte. Sie hatte die Rolle selbstverständlich in der originalen Mezzoversion gesungen. Denn die eigentliche Leuchtkraft und Fülle ihrer Stimme kam besondersin den tieferen Lagen zur Wirkung. Die Isolde jedoch war eine Sopranpartie. Daran konnte selbst der eigenwilligste Dirigent nichts ändern.
    Immerhin, die Kundry hatte Mariana noch einmal ein neues Feld erschlossen. Vieles gab es zu überdenken, reizvolle, auch finanziell sehr lukrative Angebote wie die Leonore im ›Fidelio‹ in Wien, den eventuellen zusätzlichen Sprung in ein anderes Fach und vor allem: Wie sollte sie das alles mit einem Zusammenleben mit »ihren beiden Männern« unter einen Hut bringen?
    Nach der letzten Aufführung des ›Parsifal‹ kam auch noch der Direktor der Met hinter die Bühne gestürzt und beschwor Mariana ganz aufgewühlt, doch noch in diesem Winter in New York die Kundry zu singen. »Sie sind in der Form Ihres Lebens, davon wollen wir profitieren.«
    Etwas verwirrt, aber sehr, sehr glücklich machte sich Mariana gleich nach den Festspielen mit der Familie auf nach Stockholm. Von dort fuhr sie mit Pietro weiter zum Holzhaus in den Schären.
    Mitten in ihre Idylle hinein platzte der Postbote. Er schwenkte etwas in der Hand, was sich als Telegramm entpuppte, dazu schrie er laut immer wieder die gleichen Worte: »Krieg! Krieg! Es ist Krieg!«

    Jawohl, es war Krieg. Hitler, der glühende Wagner-Verehrer, hatte ihn vom Zaun gebrochen. Jetzt wollte er sein eigenes Schauspiel in Szene setzen. »Er ist genauso dumm wie seine Genossen. Da kennt er Wort für Wort den ›Ring‹, aber er hat nicht begriffen, wohin Machtgier führt«, sagte Mariana entsetzt.
    Nach den paar wenigen persönlichen Begegnungen mit Hitler hatte sie ihn offenbar völlig falsch eingeschätzt, seine großen Auftritte als redegewaltiger Volkstribun hatte sie nicht erlebt. Zwar war sie sich nie wirklich sicher gewesen, was sie von ihm denken sollte, zu viel Widersprüchliches gingvon ihm aus, schwärmerische Verstiegenheit, Kälte und Starrheit, Charme, Überheblichkeit. Und dass er sich für ein Ausnahmewesen hielt, konnte man schon an dem zackigen, beflissenen, fast götzendienerischen Verhalten seiner Entourage ablesen. Aber bei aller Zwiespältigkeit hatte sie ihn doch für einen korrekten, auf das Wohl seines Volkes bedachten Menschen und Staatsmann gehalten. Jetzt fiel er räuberisch über andere Länder her und nahm einen großen Krieg in Kauf! Damit hatte er alle Moralgesetze außer Kraft gesetzt und endlich seine Machtgier zu erkennen gegeben.
    Auf den Opernbühnen gab es genug solcher brutaler Abenteurergestalten, und meist gingen sie auf historische Vorbilder zurück. Jetzt war Mariana tatsächlich einem solchen Machtungeheuer leibhaftig begegnet. Unter der Maske des schwärmerischen Biedermanns hatte sie ihn nicht erkannt, doch nun wusste sie Bescheid. Darum war sie so erschrocken: »Das ist einer von diesen wildgewordenen Fanatikern, durch die das ganze Elend der Welt über die Menschen kommt«, versuchte sie Pietro zu erklären. »Sie glauben sich im Besitz der allein selig machenden Wahrheit, stets verfolgen sie gnadenlos ein angeblich herrliches, edles Ziel, und alle Gräueltaten, die sie begehen, geschehen im Namen ihres jeweiligen Gottes, denn sie fühlen sich als seine von ihm höchstpersönlich auserwählten Vollstrecker. Falls sie aber scheitern, wollen sie wenigstens einen gewaltigen Abgang, mit größenwahnsinniger Arroganz stürzen sie auch ihrem Ende zu. Wenn dabei die Welt um sie herum in Trümmer geht, ist ihnen das vollkommen gleich. Wer weiß, vielleicht betrachten sie es als gerechte Strafe für diese schnöde Welt, die ihrer nicht würdig war.«
    »Mein Gott, Mariana, übertreibst du nicht ein wenig?«, meinte Pietro. »Der Kerl ist ein Aggressor, aber doch kein Dämon. Gut, wir haben jetzt Krieg in Europa. Aber schau dir die Landkarte an, Hitler muss diesen Krieg verlieren, es wird alles ganz schnell gehen.«
    »Und wir, was machen wir?«, fragte Mariana und fing an zu weinen. Sie wunderte sich selbst über ihre hoffnungslose Verzagtheit. Sie als Schwedin war doch gar nicht

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