Im Schatten der Tosca
kann ich genauso gut.«
Als aber der Krieg ausbrach und es in Europa immer unruhiger wurde, bekam Holger Angst um Erna. Um sie von den gefährlichen Reisen abzuhalten, appellierte er plötzlich an ihre Mutterpflicht: »Du darfst kein unnötiges Risiko eingehen, das bist du den Kindern schuldig.« Einen Hinweis auf die wagemutige Mariana schmetterte er energisch ab: »Die hat eine Rossnatur. Und nur ein Kind. Außerdem ist ihr Mann in Rom.«
Schon um des lieben Friedens willen, aber auch aus eigener Angst, beschränkte sie ihre Engagements immer mehr auf Skandinavien und pickte sich auf dem kriegerischen Festlandnur noch ein paar Rosinen heraus, wie eben jetzt Salzburg, auf das sie schon der Freundinnen wegen nicht verzichten mochte. Zudem erschienen ihr Österreich und gar das kleine Salzburg nicht so gefährdet: »Glaubst du vielleicht, die Amerikaner bombardieren den ›Jedermann‹ und das Café Tomaselli und die Mozartkugeln«, beschwichtigte sie ihren besorgten Gatten.
»Das würde mir gerade noch fehlen, einen Ehemann um eine Reiseerlaubnis bitten zu müssen«, entsetzte sich Astrid. Von den drei Freundinnen war sie die Freiheitsdurstigste. Im Gegensatz zu der braven Erna konnte sie eine lange Verehrerliste aufweisen, lauter drahtige, besitzergreifende, glutäugige Gesellen, Südamerikaner, Italiener, Portugiesen, Korsen, Griechen. Und Marcello Rainardi, oh ja. In Neapel, bei der Premierenfeier, hatte die Sache ihren zaghaften Anfang genommen, dann, auf Marianas Hochzeit, befeuert durch viel Aquavit, war sich das Paar in die Arme gesunken. »Astrid, ich warne dich, ein Neapolitaner!«, hatte Mariana zu bremsen versucht und ihr von Marcellos finsteren Ansichten berichtet. Doch da war es bereits zu spät, eine turbulente Liaison nahm ihren Lauf, die lange Zeit die gesamte Opernwelt in Atem hielt.
Marcello war noch eifersüchtiger als erwartet, ein genialer Teufelsbraten, der es kaum mehr dulden mochte, dass Astrid unter einem anderen Dirigenten sang. Als Marcello aus politischen Gründen nach Amerika ging, weigerte sich Astrid, ihre Zelte in Europa gänzlich abzubrechen, wie es Marcello selbstverständlich von ihr erwartete. »Ich bin Schwedin, ich bleibe hier«, sagte sie blauäugig-stur. Marcello war tief beleidigt abgerauscht und hatte bisher nichts mehr von sich hören lassen.
Jetzt hatte sich Astrid zur Abwechslung einen Spanier zugelegt, der seit dem Franco-Regime in Frankreich lebte, hin und wieder malte, sehr viel plante, Filme, Theaterdekorationen, Ausstellungen, und wirklich sehr charmant war. Aber ebenfalls rasend eifersüchtig. Er selbst schaute hinter jedemweiblichen Wesen her, aber Astrid sollte sich in seiner Anwesenheit mit keinem anderen Mann auch nur über das Wetter unterhalten. Irgendwie gefiel ihr das Getue und Getöse wohl, aber bevor es zur lästigen Routine wurde, reiste sie schon wieder ab.
Das mit den Männern war gar nicht so einfach, darüber waren sich die Freundinnen einig. »Mein Gott, haben wir es gut, wir kommen in der Welt herum; wenn wir arbeiten, tun wir das, was wir sowieso am liebsten tun, und dafür kriegen wir auch noch einen Haufen Geld«, sagten die drei Damen lachend und brachen einem weiteren Fläschchen den Hals.
Als Pietro spätabends leicht erschöpft eintraf, wurde ihm selig zugeprostet: »Auf dein Wohl, du wunderbarer, einsamer weißer Rabe.« So vergnügt waren die drei Schwedenmädel schon lange nicht mehr gewesen. Nicht einmal Pietros Schauergeschichten aus Italien vermochten sie zu erschüttern: Mussolini gestürzt und verhaftet, die Alliierten vor Sizilien gelandet – nun denn, dann ging der Schlamassel hoffentlich rasch zu Ende!
Am nächsten Morgen begriff Mariana entsetzt: »Dann warst du womöglich in Lebensgefahr! Und wie kommst du jetzt wieder zurück?« Zwar beschwichtigte Pietro: »Halb so schlimm, du kennst doch die Italiener. Und im Norden ist alles in Butter.« Aber die heitere, leichte Stimmung hatte einen Knacks bekommen.
Bald nach der Premiere musste Pietro wieder nach Hause fahren. Erst als er gesund und munter anrief, die Reise sei völlig harmlos verlaufen und Rom ohne die vielen Fremden so friedlich und angenehm wie schon lange nicht mehr, verließ Mariana die Angst.
Dann aber, mitten hinein in die Festspiele, kam aus Mailand eine Nachricht, die einschlug wie eine Bombe: »Scala total zerstört.« Die Sänger, die Künstler, all die vielen Menschen, die hier zusammenströmten, weil sie die Musik inniglich liebten, konnten es nicht
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