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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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viereckigen Schädel, seine Augen wirkten riesig hinter den ungewöhnlich dicken Brillengläsern, doch das Ungewöhnlichste an ihm war ein graues Steingutkrüglein mit einem Zinndeckel, das er sehr achtsam in der rechten Hand hielt. Beim Hereinkommen hatte er nur ein kurzes »’n Abend« vor sich hin geknurrt und sich auf der Stelle etwas abseits von den anderen in einen alten Lehnstuhl verdrücken wollen, doch Rainer zog ihn am Ärmel seiner ebenfalls speckigen roten Samtjacke und stellte ihn Mariana vor. »Du meine Güte, wenn ich gewusst hätte, dass ich Sie heute Abend hier treffe, dann hätte ich mich doch wenigstens gekämmt! Aber wissen Sie, ich war schon im Nachthemd, und bevor ich in den Keller gehe, muss ich noch rüber in die Wirtschaft und mir mein Krüglein nachfüllen lassen. Ohne das geht’s nicht«, stammelte Professor Baumeister und schaute Mariana aus seinen Käuzchenaugen treuherzig an.
    Ein dumpfes Gerumpel irgendwo draußen enthob ihn einer weiteren Konversation. »Jesus Maria, jetzt kommen sie. Rainer, Rainer, wo bist du?«, rief Lilli schrill. »Ach du liabs Hergöttle«, murmelte Fräulein Paula, aber alle anderen blieben gelassen. »Das ist noch weit weg«, meinte die Kleine mit ihren Puppen. Aber die Einschläge kamen dann doch näher, auch Elsbeth wurde jetzt nervös; um sich abzulenken, stand sie auf, machte das Radio an und drehte daran herum. Statt der Silberstimme war jetzt ein Mann zu hören. Es ging um Maul- und Klauenseuche, wie sie entstand und zu behandeln sei. Mariana traute ihren Ohren kaum. Was dieser Mann da erzählte, erstaunte sie nicht so sehr, auch wenn es im Moment für die Anwesenden dringlichere Themen geben mochte, eswar seine Sprache: markiges, selbstgefälliges Schweizerdeutsch! »Beromünster«, sagte Katharina lässig dahin. »Und das hört ihr, einfach so, ihr alle zusammen?«, fragte Mariana verblüfft. »Der Empfang ist doch gut, finden Sie nicht?«, mischte sich nun Professor Baumeister ein, als rede auch er von etwas Selbstverständlichem.
    Die Bombeneinschläge kamen noch näher, ein paarmal schien das Haus zu wanken. Aus der Ecke, wo Lilli und Fräulein Paula inzwischen auf den Knien lagen, drang leises Gezischel: »Heilige Mutter Gottes, bitte für uns, jetzt und in der Stunde unseres Todes«, konnte Mariana nach einer Weile verstehen, erstaunlich, aber die anderen waren offenbar daran gewöhnt, wer weiß, vielleicht beruhigte es auch sie. Die Vögel zwitscherten nun ganz munter, Mona schnurrte laut unter Katharinas heftigem Streicheln, und auf jeden Fall, so erklärte der Herr aus Beromünster, sei eine penible Stallhygiene zur Vorbeugung unabdingbar. Mariana schaute sich in der Kellerrunde um. »Ach, bei euch ist es gemütlich«, sagte sie gerührt.
    Am nächsten Tag ging sie noch einmal hoch zum Frauenkopf. »Den Loro, aber ja doch, den lassen wir nie allein. Der und die Oma, die kommen immer als Erste in den Keller. Es geht gar nicht anders, die beiden fallen vor Schreck schon vom Stängel, wenn sie bloß die Sirenen hören. Die geben erst im Keller wieder eine Ruh.« Mariana fühlte sich beruhigt.

    Liebenswerte kleine Begebenheiten. Doch die Mühseligkeiten in Marianas Wanderleben mehrten sich. Auf den Bahnhöfen der großen Städte ging es oft zu, als führen hier die allerletzten Züge, der Teufel schien den Menschen auf den Fersen, wer hier nicht mehr mitkam, der war wohl verloren. Kämpferische Menschenknäuel klumpten sich vor den Zugtüren, wer gar keine Hoffnung mehr sah, sich auch noch hineinzudrängeln, der riss eines der Fenster herunter, schob erst seine Kinder durch den schmalen Spalt, dann seine Koffer und versuchte sich hinterherzuhangeln, manchmal halfen dabei dieZuginsassen, manchmal schlugen sie ihnen auch auf die Finger und wehrten sie ab.
    Auch Scharen von Soldaten quollen plötzlich in die Eisenbahnwagen, sie streckten sich aus auf ihren Tornistern, Stahlhelmen, Gasmasken, Waffen. Die Fronturlauber waren vergnügt, trotz allerlei leichter Verbände um Kopf und Glieder, galant hoben sie Mariana über schlafende Kameraden hinweg, wenn sie auf die Toilette wollte oder aussteigen musste. Mit ihnen war die Reise unterhaltsam, man teilte sich Essen und Trinken und erzählte sich Geschichten. Wer zurück an die Front fuhr, war nicht so mitteilsam, Mariana brach schier das Herz, wenn sie die armen Kerle sah mit ihren sorgenvollen Mienen. Was mochte draußen auf sie warten, was daheim mit ihren Lieben geschehen?
    Die Ankunfts- und

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