Im Schatten der Tosca
Stuckdecken sind noch ziemlich intakt, die schönen Öfen können wir lassen, die Läden repariert mein Schreiner . . .«, und schon fingen die Geschwister an zu planen.
In der Zwischenzeit ging Mariana ganz still durch die Räume, es war nicht ihr kritischer Verstand, der da Erkundungen einzog, eher ihr Herz, ihr Gemüt, die sich öffneten. Und freundliche, friedliche Signale empfingen, heitere, luftige Schwingungen, von nirgendwo drohte Gefahr: Ein lichter, kraftvoller Ort.
Mariana holte tief Luft, sie blickte sich um, als wachte sie gerade auf, dann ging sie zu Pietro hinüber. Sie nahm ihnan der Hand und führte ihn zu dem Platz, an dem sie vorher lange gestanden hatte: »Hier stellen wir meinen Flügel hin.«
Ihren eigenen Flügel! Den sie bis dahin, so sonderbar es erscheinen mochte, noch immer nicht besaß. Der Flügel in Stockholm gehörte ihrer Mutter, und als die ihr einmal anbot, ihn doch mitzunehmen, hatte Mariana entgeistert geantwortet: »Ich trage dir auch nicht dein Bett unterm Hintern weg.« Unterwegs, bei Gastspielen und Tourneen, stellten ihr die Hotels oder Opernhäuser ein Instrument zur Verfügung, und wenn Mariana länger an einem Ort blieb, lieh sie sich eines. Auch der Flügel in Pietros Wohnung stammte von der nahe gelegenen Accademia Santa Cecilia.
Mariana hatte diese Lösung immer praktisch gefunden und das auch begründet: ihre vielen Reisen, die Kriegswirren, in Stockholm brauchte sie doch auch einen Flügel, die Wohnung war zu klein für ein großes Instrument, und so weiter. In Wirklichkeit graute ihr wohl vor dem Ballast, darum besaß sie auch so gut wie keine Möbel.
Nun aber, kaum war der Umzug in die Via Giulia beschlossen, machte sich Mariana mit großem Eifer auf die Suche nach einem eigenen Instrument. Was sonst noch an Möbeln in die neue Wohnung kommen sollte, erschien ihr nicht so wichtig, aber diesen Flügel sah sie deutlich vor sich stehen, sie musste ihn nur noch finden. So eilte sie, wo immer sie in der nächsten Zeit hinkam, in Mailand, Venedig, Paris, in Hamburg, Berlin und München, in Fachgeschäfte, Klavierfabriken, zu Auktionen, hoffnungsvoll näherte sie sich dem vielgepriesenen Instrument, manchmal wusste sie schon von Weitem: »Nein, das ist er nicht«, manchmal erst nach den ersten paar Takten, die sie darauf anschlug.
Schließlich ging sie noch einmal in das Piano-Geschäft in Rom, in dem sie gleich zu Anfang nachgeschaut hatte. Als sie die Türe aufmachte, funkelte es ihr entgegen: ein prachtvolles, schwarzes, riesengroßes Ungeheuer. Marianas Herz ruckelteaufgeregt, mit zitternden Händen klappte sie den Deckel auf, wie gebleckte Zähne lachten ihr die Tasten entgegen: »Na endlich!« Noch im Stehen fing sie an, die As-Dur-Polonaise von Chopin hinzuschmettern: von der samtigen, klaren Tiefe bis zur leuchtenden, schwebenden Höhe ein einziger glutvoller, jubelnder Wohlklang. Mariana gab dem Flügel einen Klaps, als sei er ein Pferd. Ein Steinway! Da hatte er also das Rennen gemacht, vor allen anderen Konkurrenten.
Als einige Wochen später das Prachtstück in die neue Wohnung hochgetragen wurde, überkam Mariana feierliche Rührung. Ich halte Einzug, dachte sie und wunderte sich über die gespreizte Formulierung – zumal es nicht einmal sie selbst war, die gerade einzog. Es war kein beliebiger Augenblick: Etwas kam hier zum Abschluss. War es das Wanderleben? Aber sie war noch immer unterwegs und würde es auch bleiben, manche Verträge liefen über Jahre hinaus. Schließlich begriff Mariana: Mit ihrem Flügel setzte sie ein Zeichen: Hier bin ich. Und hier will und werde ich bleiben. So etwas wie eine Landnahme fand hier statt und zugleich ein sich Festlegen.
Wo immer sie in ihrem Leben als »fahrende Sängerin« gewohnt hatte, seit ihrem Aufbruch aus dem Elternhaus, in Hotelzimmern, großen Wohnungen, kleinen Apartments, bei Freunden, für Tage, Wochen oder sogar Jahre, stets war der Aufenthalt befristet gewesen, niemals auf Dauer angelegt. Es waren Durchgangsstationen, Rastplätze auf ihrer Lebensreise gewesen, die man eines Tages wieder verließ, ganz gleich, ob man sie liebte oder ungemütlich fand oder einfach nur zweckmäßig. Sogar die Via Margutta hatte von Anfang an nur als Provisorium gegolten.
Nun aber war Mariana angekommen: Pietros Elternhaus war jetzt auch ihr Zuhause. Von allen Reisen, die sie vielleicht noch machte, würde sie dorthin zurückkehren wie ein Schiff in seinen Heimathafen. Wenn Gott es so gefiel, würde sie dort bleiben
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