Im Schatten der Vergeltung
darin. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Clarice, auf deren Gesicht sich erwartungsgemäß Erstaunen mit Triumph abwechselte. »Es ist schön, welche Fortschritte Susan im Zeichnen macht. Ihr Talent sollte weiter gefördert werden«, wechselte sie plötzlich das Thema.
Maureen wusste, dass Clarice Murdochs Bett teilte. Sie würde ihm bei nächster Gelegenheit bestimmt erzählen, welche Gerüchte über seine Frau und Robert Burns bei der Dienerschaft im Umlauf waren.
Mit roten Wangen und strahlenden Augen kehrte Susan in die Laube zurück, beide Hände voll mit zerdrückten Gänseblümchen, die sie vor Maureen auf den Tisch warf.
»Jetzt möchte ich den schönsten Kranz von ganz England!«
Maureen nickte. »Den sollst du haben, mein Kind. Er wird dein Haupt schöner schmücken als die Krone eine Königin.«
K lirrend legte Murdoch den Löffel auf seinen Teller. Am anderen Ende der Tafel zuckte Louisa ängstlich zusammen. Die Tage, an denen ihr Mann zum Mittagessen nach Hause kam, waren selten. Es befanden sich keine anderen Gäste im Esszimmer, so war Louisa gezwungen, das Mahl allein mit Clifford einzunehmen, der heute in besonders schlechter Stimmung war.
»Wie lange beabsichtigt dieser arme Poet, unsere Gastfreundschaft noch in Anspruch zu nehmen?«, fragte er missbilligend
»In drei Wochen wird er die Stellung in Schottland antreten«, antwortete Louisa leise, wagte es dann die Frage zu stellen, die sie schon lange beschäftigte. »Warum bist du Mister Burns gegenüber immer so unfreundlich? Deinen anderen Freunden steht Murdoch Hall doch auch unbegrenzt zur Verfügung.«
Murdoch fixierte seine Frau aus zusammengekniffenen Augen.
»Burns zählt nicht zu meinen, sondern deinen Freunden, und ich finde, er schenkt etwas, das mir gehört, zu viel Aufmerksamkeit.«
Lauernd beobachtete er, wie Louisa vom Hals bis an den Haaransatz hinauf errötete, denn sie hatte verstanden, auf was er anspielte.
»Ich interessier mich lediglich für seine Verse«, unternahm Louisa einen schwachen Versuch der Rechtfertigung. »Du kannst mir keinen Vorwurf machen, dass meine Eltern Mister Burns als Gast in unser Haus eingeführt haben.«
»Deine Eltern sind aber längst wieder abgereist, derweil es sich dieser Schreiberling wie eine Made im Speck hier gutgehen lässt. Nun, mag er essen und trinken so viel er will, aber wehe, er wagt es, an meinem Eigentum auch nur zu knabbern!«
In Louisas Augen schossen Tränen. Eigentum! Nur als das wurde sie von Clifford betrachtet. Sie war sein Eigentum, geheiratet, um ihm viele gesunde Söhne zu gebären. Nie würde sie seine Enttäuschung vergessen, als Susan zur Welt kam. Damals fühlte sich Louisa wie Anna Boleyn, die dem König einst nicht seinen heißersehnten Erben, sondern nur ein Mädchen geboren hatte. Dieses Mädchen wurde dann zur größten Königin, die England – nein, ganz Europa – jemals gesehen hatte!
»Wenn es dein Wunsch ist, werde ich Mister Burns nahelegen, uns in Bälde zu verlassen«, sagte Louisa unterwürfig. Natürlich würde ein solches Verhalten einen Bruch der Gastfreundschaft bedeuten und sie würde die stumme Verehrung Burns vermissen, Louisa hatte jedoch so viel Angst vor ihrem Mann, dass sie keine andere Wahl hatte. »Dramatisierst du die ganze Sache nicht etwas?«, wagte sie trotzdem zu fragen.
Wenn Murdoch etwas in Wut bringen konnte, war es, wenn jemand wagte, seine Handlungsweise zu kritisieren. Besonders, wenn dieser Jemand seine eigene Frau war. Blau und dick klopfte eine Ader an seiner Schläfe, als er gefährlich leise sagte: »Ich verstehe es, mein Eigentum zu schützen. Niemand wird etwas bekommen, was mir gehört! Hast du das verstanden?«
Wie ein Häufchen Elend sank Louisa in sich zusammen. Sie nickte und wagte nicht, ihren Mann anzusehen. In Momenten wie diesen wünschte sie, von Murdoch Hall ganz weit fortzulaufen und niemals zurückzukehren.
D er Streit war so laut, dass er im ganzen Haus zu hören war. Die Dienstboten hielten in ihrer Arbeit inne und warfen sich ängstliche Blicke zu. An die Wutausbrüche ihres Herrn waren sie seit Jahren gewöhnt, dieses Mal war sein Zorn jedoch heftiger denn je zuvor. Der Butler Golham, die Haushälterin und die Köchin sowie einige andere Dienstboten standen verunsichert in der Halle beisammen. Sie wussten, dass sie sich unter keinen Umständen in die Streitigkeiten der Herrschaft einzumischen hatten, Sir Murdoch schien aber nicht mehr Herr seiner Sinne zu sein. Maureen verbarg sich in der
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