Im Schatten der Vergeltung
befassen. Foster findest du in London. Er ist dabei, in der Politik ganz nach oben zu kommen. Die Zeitungen sind voll von seinen Reden und geplanten Reformen.«
Das war die Wahrheit und mehr wusste Murdoch tatsächlich nicht. Nach den Feldzügen hatte er noch ein paar Jahre mit Foster Kontakt gehabt, die Existenz des Jungen hatte er aber bis eben völlig vergessen.
Maureen hatte genug gehört. Sie fühlte sich müde wie eine alte Frau nach einem harten Arbeitstag auf dem Feld.
»Gut, ich halte mein Versprechen«, sagte sie und griff zu der Opiumflasche. »Wie viel möchtest du? Einen Löffel oder vielleicht gleich die ganze Flasche, um deinem armseligen Leben ein Ende zu setzen?«
Murdoch antwortete nicht. Während seiner Erzählung war es ihm gelungen, die Fesseln so weit zu lockern, dass er seine Hände freibekommen hatte. Er konnte Maureen zwar nicht sehen, spürte aber ihre Anwesenheit in seiner unmittelbaren Nähe. Mit einer schnellen Bewegung riss er einen Arm nach oben und schlug Maureen, die von dem Angriff völlig überrumpelt war, mitten ins Gesicht. Sie taumelte zurück und spürte den Geschmack von Blut auf ihren Lippen. Bevor sie reagieren konnte, hatte Murdoch mit beiden Händen den Käfig von seinem Kopf gerissen und zur Seite geschleudert. Dabei fiel das Tuch von seinen Augen. Louisa schrie auf, als sie die leeren Augenhöhlen sah und blieb wie gelähmt sitzen. Behände, als wäre er nicht seit Tagen bewegungslos gelegen, schwang Murdoch sich aus dem Bett und torkelte mit ausgestreckten Händen in die Richtung, in der er Maureen vermutete.
»Du hinterhältiges Weibsstück!«
Maureen wich immer weiter zurück, bis sie mit dem Rücken an die Kommode stieß. Murdochs immer noch bulliger Körper versperrte ihr den Weg zur Tür. Von Louisa war keine Hilfe zu erwarten. Sie stand offenbar unter Schock und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Szene. Jetzt war Murdoch so dicht vor Maureen, dass sie seinen schlechten Atem riechen konnte. Verzweifelt hob sie die Hand und versuchte, ihm ins Gesicht zu schlagen. Ein Fehler, wie sie feststellten musste, denn darauf hatte er gewartet. Murdoch packte sie am Handgelenk und riss sie gegen seinen Körper. Nun war sie seiner eisernen Umklammerung ausgeliefert. Seine andere Hand fand ihren schlanken Hals und er drückte mit aller Kraft zu.
»Louisa …«, röchelte Maureen. Mein Gott, warum tat diese Frau nichts? Murdoch würde sie beide umbringen! Panik ergriff Maureen, als sie keine Luft mehr bekam. Ihr Kehlkopf schmerzte, und vor ihren Augen begannen bunte Kreise zu tanzen. Kurz bevor Maureen dachte, ihre Lungen würden bersten und sie das Bewusstsein verlor, lockerte sich plötzlich der Griff, und sie konnte wieder atmen. Sie sah, wie Murdoch sich mit beiden Händen an den Kopf griff, unartikulierte Laute ausstieß, taumelte und schließlich wie ein gefällter Baum zu Boden stürzte.
»Aaah!« Wild schlug der Kopf mit den grotesken Augenhöhlen von einer Seite auf die andere, dann ging ein Zucken durch seinen Körper, und er rührte sich nicht mehr.
Maureen verharrte bewegungslos, die Hände an ihrer wunden Kehle, und starrte auf den leblosen Körper. Es dauerte eine Weile bis sie es wagte, sich Murdoch zu nähern. Jeden Augenblick rechnete sie damit, dass er wieder aufspringen und sie erneut angreifen würde. Langsam beugte sie sich hinab und wagte es, seinen Brustkorb zu befühlen. Sie konnte keine Atmung mehr feststellen.
Sie hob den Kopf und sah die immer noch stumme und unter Schock stehende Louisa an. »Ich glaube, er ist tot.«
M aureen blieb nicht zur Beerdigung. Niemand hätte das von ihr erwartet. Warum auch? Sie war ja nur eine Angestellte, deren Dienste nun nicht mehr von Nutzen waren, denn Louisa würde mit den Kindern in das Haus ihrer Eltern zurückkehren. Was aus Murdoch Hall werden sollte, war ungewiss. Harris hatte das Haus ebenfalls verlassen und bereits einen Tag nach Murdochs Tod eine neue Anstellung gefunden.
Doktor Bellamy ließ keinen Zweifel daran, dass sich die Kugel in Murdochs Kopf gelöst haben musste. Nachdem Louisa aus ihrem Schockzustand wieder zu sich gekommen war, berichtete sie ihre Version von dem furchtbaren Vorfall. Sie versicherte mit leiser, aber glaubhafter Stimme, sie habe Maureen gebeten, sie in das Zimmer ihres Mannes zu begleiten, um mit ihm zu sprechen. Sie fanden Joshua betrunken und schlafend in der Ecke, Murdoch jedoch wach und von seinen Fesseln befreit vor. Er erhob sich von seinem Krankenlager,
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