Im Schatten der Vergeltung
brach dann aber sofort zusammen. Mit keinem Wort erwähnte Louisa die Geschichte, die Maureen mit Murdoch verband, und sie schwieg auch über die Vorfälle, die zu Murdochs Tod geführt hatten. Joshua konnte sich an nichts erinnern. Seinem Gestammel, man habe ihm Bier gebracht, schenkte niemand Gehör. Jeder glaubte, er suche nur nach einer Ausrede für sein Versagen, Murdoch im Stich gelassen zu haben.
Louisa bot Maureen an, sie in ihr Elternhaus zu begleiten.
»Die Kinder lieben Sie, bitte bleiben Sie in meinen Diensten.«
»Es tut mir leid, aber das geht nicht«, antwortete Maureen. »Ihr wisst nun die Wahrheit, Mylady, und werdet verstehen, dass meine Mission noch nicht beendet ist.«
Louisa wurde blass. »Das ist so furchtbar …« Sie zögerte, dann fuhr sie fort: »Was soll ich den Kindern sagen, wenn sie nach ihrem Vater fragen? Was ist mit dem kleinen Kerl in meinem Bauch, der ohne Vater geboren werden wird?«
Vertraulich legte Maureen einen Arm um ihre schmalen Schultern und merkte, wie Louisa bebte.
»Vielleicht wird es auch ein Mädchen, Louisa. Eure Kinder brauchen Euch, ganz besonders Susan, die all das, was sie unter ihrem Vater erleiden musste, vergessen muss. Es wird ihr gelingen, denn sie ist jung und trotz allem unbekümmert. Und Louisa ...«, Maureen sah ihr tief in die Augen, »mag alles, was Ihr über Euren Mann erfahren habt, auch schrecklich sein – es hat bewirkt, dass Ihr erwachsen geworden seid. Bitte, nehmt mir meine offenen Worte nicht übel.«
Die Andeutung eines Lächelns huschte über Louisas Lippen.
»Gerade, weil Sie so offen sind, wünschte ich, Sie würden uns nicht verlassen. Ich glaube, wir hätten eines Tages Freundinnen werden können.«
Stumm drückte Maureen ihre Hand, es war an der Zeit zu gehen. Als sie an der Tür war, rief Louisa ihren Namen, und Maureen drehte sich noch einmal um.
»Maureen, was immer Sie jetzt vorhaben ... mit diesem ... Foster, so glaube ich, war sein Name ... So böse die Menschen auch sind, wir haben kein Recht, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.«
Maureen öffnete den Mund, schluckte aber die Worte, die ihr auf der Zunge lagen, wieder hinunter. Stattdessen sagte sie leise: »Ja, vielleicht wären wir wirklich Freundinnen geworden.« Dann ging sie hinaus, um sich von den Kindern zu verabschieden.
Der kleine Edmund würde sie nicht vermissen, aber Susan kämpfte mit den Tränen, als sie sich an Maureens Brust drückte.
»Ich verspreche dir nicht, dich zu besuchen«, sagte Maureen. Sie bedauerte, solch harte Worte wählen zu müssen, es war aber besser, in dem Mädchen keine Hoffnung zu wecken. »Du musst mir versprechen, immer fleißig zu lernen. Willst du das tun?«
Susan nickte ernsthaft und ihre Augen glitzerten verdächtigt. Maureen hauchte ihr einen letzten Kuss auf den Scheitel, dann drehte sie sich um und verließ Murdoch Hall, um nach London aufzubrechen, denn dort wartete eine neue Aufgabe auf sie.
12. Kapitel
London, September 1781
I m breiten Band der Themse zogen Dutzende von großen, mittleren und kleinen Schiffen vorbei, und Passagierfähren pendelten zwischen dem Nord- und dem Südufer. Das Wasser reflektierte das Sonnenlicht und ließ den Betrachter an diesem schönen Spätsommertag vergessen, dass der Fluss durch die Abwässer verschmutzt und schlammig war.
Es war so warm, das Willard Foster seinen Hut und Rock ausgezogen hatte. Bequem, mit weit von sich gestreckten Beinen, saß er auf der Terrasse des neu erbauten Somerset House und hörte seinem Gesprächspartner mit nur geringer Aufmerksamkeit zu. Der Tag war zu schön, um ihn mit politischen Debatten zu verbringen. Der Geruch des nahenden Herbstes lag bereits in der Luft, und Foster wollte die letzten Sonnenstrahlen genießen.
»So könnt Ihr sicher sein, Eurer Wahl als Abgeordneter steht nichts mehr im Wege«, fuhr Fosters Gegenüber unbeirrt fort. »Euer Einsatz bei den Gordon-Unruhen ist stadtbekannt, und viele verehren Euch als einen Helden.«
Willard Foster winkte gelangweilt ab. Mit Wohlwollen betrachtete er eine gutgewachsene Blumenverkäuferin, die auf der Promenade The Strand farbenfrohe Herbstblumen feilbot. Ihm stand heute nicht der Sinn nach Geschäften. Dann wandte er die Aufmerksamkeit schließlich doch seinem politischen Berater zu. Ned Corman war ein schmächtiger, kleiner Mann mit einem länglichen Gesicht und einer unübersehbaren Hakennase. Seine Wangen hatten eine ungesunde, bleiche Farbe, und die grauen Augen lagen in tiefen Höhlen, denn
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