Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Vergeltung

Im Schatten der Vergeltung

Titel: Im Schatten der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
Vom Netzwerk:
Kleiner«, brüllte Murdoch plötzlich
    Mein Gott, was hatte die Heeresleitung sich dabei gedacht, ihm ein Kind in die Truppe zu stecken! Leider kam es häufig vor, dass reiche Väter ihren verweichlichten Söhnen ein Offizierspatent kauften und sie in die Armee steckten, damit ganze Männer aus ihnen wurden. Bei der Schlacht auf dem Moor bei dem Dorf Culloden war Murdoch dicht neben dem Jungen gewesen, als in dem unwirtlichen Gelände eine Horde halbnackter, behaarter Männer, mit Schwertern, von deren Klingen Blut tropfte, und dicke Eichenknüppel schwingend, auf sie zugestürmt waren. Im letzten Moment hatte Murdoch verhindern können, dass der Schädel des Jungen gleich zu Beginn der Schlacht gespaltet worden war. Reflexartig hatte er die Muskete hochgerissen und dem stinkenden Wilden das aufgesetzte Bajonett in den Hals gerammt. Vergessen war in diesem Moment die Taktik, in der die Soldaten wochenlang ausgiebig geschult worden waren: Wenn eine Reihe von Rebellen auf einen zukommt, nicht dem vor einem, sondern dem Rechten das Bajonett in die Seite stechen. Murdoch hatte einfach nur zugestochen, denn es war um das nackte Überleben gegangen. Der Wilde war röchelnd zusammengebrochen, ein Strom von Blut hatte sich über die Uniform des Jungen ergossen. Danach hatte es Murdoch einige Anstrengung gekostet, den Jungen vom Schlachtfeld zu bringen. Der Junge hatte sich einfach auf den nassen, morastigen Boden gesetzt und auf den Toten gestarrt. Gleichgültig, dass binnen Sekunden seine Hose durchnässt war und rings herum Menschen grausam niedergemetzelt wurden.
    Musketenschüsse hallten durch die einbrechende Dunkelheit und rissen Murdoch aus seinen Gedanken.
    »Was ist los?«, stammelte der Junge entsetzt. »Geht es wieder los?«
    Clifford Murdochs Lachen dröhnte wie Hohn in seinen Ohren.
    »Sie erschießen den Rest des Packs, das immer noch lebt.«
    »Warum, um Gottes Willen? Ist es denn noch nicht genug?«
    Ungerührt zog Murdoch ein Päckchen Karten aus der Jackentasche. Für einen Moment befürchtete er, der Kleine würde in Tränen ausbrechen, aber der Junge presste nur beide Hände auf die Ohren und kauerte sich in der Ecke wieder zusammen. Verächtlich spuckte Murdoch im hohen Bogen aus. Er hasste Schwächlinge. Er war niemals schwach gewesen. Ohne sich weiter um die Schüsse und Schreie im Moor zu kümmern, mischte er die Karten und meinte lapidar: »Hat jemand Lust auf ein Spielchen?«
    Willard Foster nickte. »Irgendwie müssen wir ja die Zeit totschlagen. Wenn wir schon nicht die Rebellen totschlagen dürfen! Ha-ha!«
    »Dafür haben wir die einfachen Soldaten«, erwiderte Murdoch. »Sie sollen auch ihren Spaß haben.«
    Der junge Offizier war versucht, laut zu schreien, um die Worte der Kameraden nicht mehr hören zu müssen. Ihr Brüsten, wie viele Schotten jeder von ihnen in der Schlacht getötet hatte, widerte ihn an. Foster hatte Murdoch fünf Guineen zahlen müssen, da er seine Wette, mindestens ein Dutzend Rebellen niederzumetzeln, nicht erfüllen konnte. Es waren nur zehn gewesen.
    »Hey, Kleiner, hör auf, Trübsal zu blasen und dich wie eine Memme zu benehmen. Wie wär’s mit einem Spielchen?«
    Foster legte seine Hand auf Murdochs Arm.
    »Es war seine erste Schlacht«, flüsterte er. »Ich glaube, er hat vorher noch nie Menschen sterben gesehen. Das braucht Zeit.«
    »Memme«, wiederholte Murdoch und mischte die Karten.
    D ie Schlacht hatte nur knappe anderthalb Stunden gedauert. Neunzig Minuten, in denen etwas mehr als viertausend schlecht bis gar nicht ausgebildete Schotten mit unzureichenden Waffen und Munition einer britischen Armee, bestehend aus siebzehntausend gedrillten Männern, gegenübergestanden waren. Sechzehn Infanteriebataillone, zwölf Schwadronen Kavallerie, acht Kompanien Miliz, zehn Bataillone Artillerie, weitere achttausend freiwillige Miliz aus den Lowlands mit Mengen von Waffen, Kanonen und Munition, die gereicht hätte, halb England auszurotten, waren siegessicher nach dem Culloden Moor gezogen. Die unwirtliche Gegend am Fuße des schottischen Hochlands war von den Rebellen für die letzte, alles entscheidende Schlacht um die Krone Englands gewählt worden. Eine schlechte Wahl, wie der Tag gezeigt hatte. Fünfzig Tote hatte die britische Armee zu beklagen, doch auf jeden dieser Gefallenen kamen vierundzwanzig Rebellen. Und jedem Schotten, der verwundet noch auf dem Schlachtfeld lag, wurde in diesen Minuten der Garaus gemacht.
    E in lautes Klopfen an der Tür erregte die

Weitere Kostenlose Bücher