Im Schatten der Vergeltung
anstatt manchmal an die frische Luft zu gehen, verbrachte Ned Corman seine Tage fast ausschließlich in der Schreibstube. Wer ihn sah, würde hinter seiner fliehenden Stirn nicht einen ausgezeichneten Verstand vermuten. Foster hatte ihn vor rund fünf Jahren kennen und wenig später auch schätzen gelernt. Er selbst war mehr oder weniger durch Zufall in die politische Laufbahn hineingerutscht. Foster liebte seinen Landsitz in Kent, spürte aber schon in jungen Jahren, dass er sich nicht zum Landedelmann eignete. Seit dem Ausscheiden aus der Armee hatte er die meiste Zeit in seinem Londoner Stadthaus am Portman Square verbracht und sich die Zeit mit Freunden in zahlreichen Clubs und anderen, oftmals zweifelhaften, Etablissements vertrieben. Auf Druck seines Vaters hatte er standesgemäß geheiratet. Als seine Frau aber vor zehn Jahren starb, ohne ihm einen Erben zu hinterlassen, verspürte er nur wenig Trauer. Durch Freunde lernte er den Premierminister Lord North kennen. Niemand wunderte sich mehr als Willard Foster selbst über sein plötzliches Interesse an der Politik. Zuerst hatte er sich im Hintergrund gehalten, den Krieg mit den Kolonien jedoch aufmerksam verfolgt. Natürlich war er als Engländer dem König gegenüber loyal, konnte aber ein gewisses Verständnis für die Amerikaner nicht verhehlen. Foster hütete sich allerdings, dementsprechende Bemerkungen in Gegenwart von Lord North zu äußern, der vehement die Meinung vertrat, die Amerikaner müssten ein für alle Mal in ihre Schranken verwiesen werden. Als ihm im letzten Frühjahr das Angebot unterbreitet wurde, als Abgeordneter für den Stadtbezirk Islington zu kandidieren, fühlte Foster sich geschmeichelt und stellte sich dieser neuen, aufregenden Aufgabe. In vier Wochen würde nun die erste Abstimmung stattfinden. Er sah der Wahl positiv entgegen, denn – wie Ned Corman erwähnt hatte – Foster war in London inzwischen bekannt geworden. Im vergangenen Juni war es zu dem blutigsten und größten Krawall in der Stadtgeschichte gekommen. Zwei Jahre zuvor war in England ein Toleranzgesetz vorbereitet worden, das die Einschränkungen lockern sollte, unter denen die Katholiken zu leiden hatten. So sollte es Katholiken erlaubt werden, öffentliche Ämter zu bekleiden. Im ganzen Land bildeten sich Oppositionen gegen diese Verordnung. Lord George Gordon schwang sich in der Folge zum Anführer antikatholischer Presbyterianer auf. Am zweiten Juni versammelte er vier Kolonnen seiner Anhänger und marschierte mit ihnen zum Parliament Square, um gegen den Catholic Relief Act zu protestieren. Gordon selbst war ein Abenteurer mit wirren, esoterischen Überzeugungen, dem es aber gelang, die einfache Londoner Bevölkerung aufzustacheln. Er löste in der Stadt eine Welle der Gewalt aus, die in der Erstürmung und Niederbrennung verschiedener Gefängnisse gipfelte. Willard Foster kehrte gerade aus Canterbury zurück, als er zufällig in die Nähe des Newgate Gefängnisses geriet. Eine riesige Menge des Pöbels war damit beschäftigt, das Pförtnerhaus zu plündern und in Brand zu stecken. Nur wenig später stand ganz Newgate in Flammen. Die Gefangenen wurden, teilweise blutend und entkräftet, hinausgezerrt, andere taumelten mit klirrenden Ketten in die ungewohnte Freiheit. Foster fühlte sich in seine Zeit bei der Armee zurückversetzt, denn seitdem hatte er keine Kampfhandlungen mehr erleben müssen. Als er bemerkte, wie zwei große, starke Männer mit Mordlust in den verzerrten Gesichtern auf einen unschuldigen Wärter gnadenlos einschlugen, lenkte er sein Pferd durch die tobende Menge und zog seine Waffe. Verhandeln war hier sinnlos, und Foster handelte ohne zu zögern. Als einer der Männer dem am Boden liegenden Wärter mit einem Knüppel den Schädel einschlagen wollte, schoss Foster ihn nieder. Dessen Kumpan starrte ihn entgeistert an, ließ dann die Eisenstange fallen und verschwand schnell in der Menge. Durch den Schuss alarmiert, kam eine hektische Bewegung in den Pöbel, der sich nun von den brennenden Ruinen abwandte und in Richtung Bloomsbury Square marschierte. Foster saß ab und kümmerte sich um den schwerverletzten Wärter.
Eine Woche währten die Krawalle in der Stadt, schließlich gelang es dem Militär, die Rädelsführer dingfest zu machen. Trupps von Soldaten begannen, Rebellen aufzuspüren und zu verhaften. Unter ihnen war auch George Gordon. Nachdem bekannt wurde, dass ihr Anführer im Tower eingekerkert war, ging die Erhebung so schnell und
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