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Im Schatten der Vergeltung

Im Schatten der Vergeltung

Titel: Im Schatten der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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Maureen. Mit flackernden Augen, deren Blau sich in ein dunkles Grau verwandelt hatten, stand sie aufrecht da. Zischend kamen die nächsten Worte über ihre Lippen: »Vielleicht wird der oberste Richter, vor dem du hoffentlich bald stehen wirst, Gnade walten lassen, wenn du jetzt hilfst, die anderen Täter zur Rechenschaft zu ziehen.«
    »Rechenschaft?« Murdoch lachte höhnisch. »Meine Güte, damals herrschte Krieg, und alle Schotten waren Verräter an der Krone. Kein Richter der Welt wird einen englischen Offizier wegen einer solchen Lappalie zur Verantwortung ziehen!« Er schwieg, und Maureen befürchtete einen Moment, er wäre eingeschlafen, dann fuhr er mit fester, klarer Stimme fort: »Nun gut, du willst die Wahrheit wissen, dann werde ich sie erzählen. Louisa, hör gut zu, denn du weißt nichts über die Härte und Grausamkeiten eines Krieges. Du bist immer nur behütet, umsorgt und verhätschelt worden. Erst an meiner Seite hast du ein Stück des wahren Lebens kennengelernt. Es ist nicht schön, was damals geschehen ist, aber weder ich noch sonst jemand kann es ungeschehen machen.«
    Er schwieg erneut. Was hatte er zu verlieren? Wenn Maureen unbedingt wissen wollte, was sich damals auf dem Schlachtfeld von Culloden zugetragen hatte, dann würde er sprechen. Jahrelang hatte er nicht mehr an jene Tage, die der blutigen und grauenvollen Schlacht gefolgt waren, gedacht. Jetzt begann er sich in aller Deutlichkeit zu erinnern, so, als wäre es erst gestern gewesen …
    Culloden Moor, Schottland, April 1747
    E in kalter Luftstrom zog durch die geöffnete Tür und ließ die spärlichen Flammen in der offenen Feuerstelle flackern.
    »Mach die verdammte Tür zu!«, brüllte Clifford Murdoch und warf dem eintretenden Mann einen unwilligen Blick zu. Dieser schälte sich umständlich aus dem durchnässten, groben Umhang aus grauer Wolle, hängte ihn an einen Haken neben dem Feuer und ließ sich seufzend auf einen wackligen Hocker fallen.
    »Regnet es hier eigentlich immer?«
    »Nee, im Winter schneit es«, brummte Murdoch. Er beobachtete einen schwarzen, dicken Käfer, der schwerfällig über den nackten Lehmboden kroch. Mit einer raschen Bewegung zertrat er das harmlose Insekt.
    Willard Foster, so der Name des großen, muskulösen Offiziers, kratzte sich ausgiebig am Kopf. Er hatte seit Wochen kein Bad mehr nehmen können, und die verfluchten Läuse brachten ihn beinahe um.
    »Tja, dann haben wir noch Winter, denn in den Regen mischen sich immer mehr Schneeflocken. Bin gespannt, wann wir hier endlich wegkommen.« Er stand auf und legte zwei feuchte Holzscheite in die Feuerstelle. Es gab einen zischenden Laut, und der Raum füllte sich mit dickem, beißendem Qualm. »Verdammt, ich brauche jetzt einen Schluck. Ist noch was da?«
    Murdoch nickte und deutete auf die Flasche, die halbvoll auf einem Brett an der Wand stand. Nachdem Foster einen kräftigen Schluck genommen hatte, zog ein Lächeln über seine abgespannten Züge.
    »Auch wenn sie Barbaren sind ... vom Whisky verstehen diese verfluchten Schotten etwas!«
    »Gib dem Kleinen auch einen Schluck, Will. Er sieht aus, als hätte er es nötig.«
    Foster reichte die Flasche einem in der Ecke zusammengekauerten Jungen. In seinem bleichen Gesicht öffneten sich graue Augen, die den Ausdruck eines hundertjährigen Mannes hatten. Langsam griff er nach der Flasche, setzte sie an die Lippen und nippte an der goldbraunen Flüssigkeit.
    »Gleich geht’s dir besser, Junge.« Die Stimme von Willard Foster hatte einen warmen Klang angenommen.
    »Du bist mal wieder dabei, den Kleinen zu verhätscheln, Will«, höhnte Murdoch. »Demnächst wirst du ihm noch seine vollen Windeln wechseln.«
    Der Junge zuckte zusammen und errötete, dann begann er hektisch, am Ärmel seiner roten Uniformjacke herumzureiben. Eine Tätigkeit, die er seit Tagen beinahe unterbrochen tat, denn auf dem Hellrot des Ärmels prangten dicke, dunkelrote Flecken. Rostrot. Blutrot ... David schüttelte sich. Nein, es war nicht sein Blut, das unauslöschlich seine Jacke befleckt hatte. Gestern hatte er versucht, draußen im Bach den Ärmel zu waschen. Sich von den Flecken, die sich wie Male durch den Stoff in seine Haut gebrannt hatten, zu befreien, sie verschwanden aber nicht, wurden nicht einmal blasser, im Gegenteil, sie schienen sich noch mehr auszubreiten. Wirkten plötzlich wie Klauen, deren Ränder zu gebogenen Krallen wurden und nach seinem Gesicht griffen.
    »Hör endlich mit der dummen Reiberei auf,

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