Im Schatten der Vergeltung
gründlich vorbei, wie sie begonnen hatte. Niemand wagte es, das mächtige Bollwerk englischer Gerechtigkeit, das seit sieben Jahrhunderten unerobert am Ufer der Themse stand, anzugreifen. Lord Gordon wurde wenig später nach einem kurzen Prozess hingerichtet.
In Willard Fosters Augen war seine Tat nichts Besonderes gewesen, sie verbreitete sich jedoch wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Er hatte selbstlos und kurzentschlossen gehandelt und sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt, um das eines Gefängniswärters zu retten. Dieser Akt brachte Foster Sympathien beim einfachen Volk ein, und so versicherte Ned Corman ihm, er werde die Wahl auf jeden Fall für sich entscheiden.
Foster beendete das Gespräch mit seinem Berater und verabschiedete sich, um sich mit Freunden im Kaffeehaus zu treffen. Zwei-, dreimal in der Woche besuchte Willard Foster das unweit der Pall Mall gelegene Kaffeehaus Coca-Tree. Diese in den letzten Jahren neu geschaffenen Kaffeehäuser waren einer der Gründe, warum Foster sich lieber in der Stadt als auf seinem Landsitz aufhielt. Hier herrschte eine völlig andere Atmosphäre als in den einfachen Wirtshäusern, denn im Coca-Tree trafen sich Gelehrte, Künstler wie auch Politiker der konservativen Partei. Ohne sonderlich viel Geld auszugeben, konnte man stundenlang am Feuer sitzen, die Tageszeitungen lesen, Bekannte treffen, Geschäfte abwickeln und über alles diskutieren, von der Flottenpolitik bis hin zu den neuesten wissenschaftlichen Erfindungen. Aktuelles Thema war natürlich der Krieg mit den amerikanischen Kolonien, bei dem kein Ende abzusehen war.
»Wer hat denn das Land jenseits des Ozeans aufgebaut?«, rief sein Bekannter aufgeregt. »Wessen Gelder stecken in den Städten und Werken, die jetzt eine Handvoll Aufständische ihr eigen nennen wollen?«
Willard grinste. Er kannte die Neigung seines Gegenübers, die Realitäten nur von einer Seite zu betrachten.
»Mein lieber Catherfield, nach vier Jahren Krieg können wir wohl kaum von einer Handvoll sprechen! Ich denke, es wird dem König nichts anderes übrigbleiben, als Amerika als eigenständigen Staat anzuerkennen.«
Horace Catherfield schnaubte.
»Ich dachte immer, du wärst ein loyaler Anhänger von Georgie? Und jetzt solche Worte aus deinem Mund!«
Foster lächelte und gab sich in aller Ruhe eine Prise Schnupftabak auf den Handrücken. Genüsslich zog er den Tabak in die Nase, atmete durch, wartete vergeblich auf einen Nieser und schnäuzte sich dann vernehmlich.
»Catherfield, wie lange kennen wir uns schon? Fünf Jahre? Nein, warte, es sind schon beinahe sechs. Selbstverständlich gehört meine Treue dem König, trotzdem bin ich Realist. Nachdem sich Spanien mit Frankreich verbündet hat, sehen wir uns mit der Aussicht auf einen erneuten Krieg mit Frankreich konfrontiert. Infolgedessen wurden bereits in den letzten Monaten immer mehr Land- und Seestreitkräfte aus Amerika abgezogen, um unser Heimatland zu sichern.«
Horace Catherfield schüttelte verständnislos den Kopf.
»Du bist also der Meinung, wir sollen kampflos auf etwas verzichten, das wir über Jahrhunderte aufgebaut haben? Wir sollten diesen neuen Staat – wie nennen sie sich doch gleich? – einfach akzeptieren?«
»Vereinigte Staaten von Amerika«, erklärte Foster. »Die britische Regierung ist natürlich nicht willens, den Verlust der Kolonien einfach so hinzunehmen. Ich bin allerdings der Meinung, man muss erkennen, wenn eine Sache verloren ist.«
Willard Foster winkte dem Mann hinter der Theke und bestellte einen Brandy. Von zu viel dunklem Kaffee bekam er leicht Magenschmerzen.
»Lass uns jetzt von etwas anderem sprechen.«, wechselte er das Thema. »Heute Abend findet im George Inn in Southwark ein Boxkampf statt. Es tritt ein norwegischer Riese an, der angeblich noch niemals besiegt worden ist. Ich werde mir das Spektakel nicht entgehen lassen und fünf Pfund auf den Nordmann setzen.«
Horace Catherfield klatschte sich auf die dicken Schenkel.
»Fein, genau danach steht mir heute auch der Sinn. Hoffentlich macht der Norweger seinen Gegner so richtig fertig. Ich habe schon lange kein Blut mehr fließen sehen.«
Foster stimmte in sein Lachen ein und bestellte den nächsten Brandy. Die Dunkelheit legte sich bereits über die Themse, als die beiden Männer das Coca-Tree verließen und mit einer Kutsche nach Southwark fuhren. Für diesen Abend waren alle weiteren Gedanken über die bevorstehende Wahl und über den Krieg in den Kolonien für Willard
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