Im Schatten der Vergeltung
gerade noch aufs Bett fallen lassen, bevor die Beine ihren Dienst versagten. Maureens Augen brannten, es lösten sich aber keine Tränen aus ihrer gepeinigten Seele. So lange hatte sie die Gedanken an Frederica verdrängt, hatte nicht darüber nachdenken wollen, was die Tochter angesichts ihres Todes empfunden hatte, nun jedoch hatte sie die Gewissheit: Frederica war krank! Todkrank vielleicht! Obwohl Maureen wusste, Lady Darlington übertrieb gerne, konnte sie sich nicht mit dem Gedanken beruhigen, dass Frederica längst wieder gesund und guter Dinge war. Der Aufenthalt in Cornwall lag mehrere Monate zurück, eine lange Zeit, in denen die Darlingtons von Philipp und Frederica nichts gehört hatten. Vielleicht war ihre Tochter schon tot ...
»Nein!«
Ein lauter Schrei löste sich aus ihrer Kehle. Frederica war in ihrem ganzen Leben nie ernsthaft krank gewesen und verfügte über eine gute Konstitution. Wie sehr musste sie die Nachricht über den Tod der Mutter gequält haben, dass sie sich in einem solchen Zustand befunden hatte. Seit dem unseligen Brief von Philipp hatte Maureen geahnt, dass Frederica litt. Kein noch so liebevoller Vater konnte einem Mädchen die Mutter ersetzen. Mit einem Ruck richtete sie sich auf, ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf: Ich muss nach Cornwall! Sofort! Noch heute!
Es war schließlich ihre Tochter, ihr einziges Kind! Hastig stand Maureen auf und begann, aus den Schränken Kleider und Unterwäsche wahllos auf das Bett zu werfen. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen, und die Erkenntnis, dass sie nicht reisen durfte, schwappte wie bittere Galle in ihren Mund. Frederica lebte mit der Gewissheit, ihre Mutter war tot. Wenn ihr Gesundheitszustand tatsächlich labil war, könnte Maureens Auftauchen und ihre Erklärungen irreparablen Schäden in ihrem Gemüt anrichten, außerdem hatte sie mit Philipp ein Abkommen geschlossen. Sie hatte sein Geld angenommen und ohne ein Wort des Widerstandes seiner Anweisung zugestimmt, für immer aus seinem und Fredericas Leben zu verschwinden. Geld, von dem sie im Moment sehr gut lebte. Geld, das ihr ermöglichte, der Vergeltung, die sie Laura versprochen hatte und die sie selbst ruhelos antrieb, nachzukommen. Bisher hatte sie kein schlechtes Gewissen gehabt, dieses Geld für ihre Zwecke zu verwenden. Nun bereute Maureen zutiefst, sich auf den Handel eingelassen zu haben. Hatte sie aber eine andere Wahl gehabt? Nein! Philipp hatte sie vor vollendete Tatsachen gestellt, und sie war zu schockiert gewesen, um dagegen anzukämpfen. Darüber hinaus hatte sie als Frau keine Rechte. Natürlich hätte sie nach Lauras Tod nach Cornwall reisen können – der Skandal wäre unbeschreiblich gewesen! Maureen dachte nicht an sich selbst oder gar an das Ansehen in der Gesellschaft oder einer politischen Karriere. Die Chancen auf eine angenehme und gesicherte Zukunft wären für Frederica jedoch für alle Zeiten verbaut gewesen, wenn ihr Vater als Lügner entlarvt worden wäre. Die Leute hätten mit Finger auf das Mädchen gezeigt und hinter ihrem Rücken gemurmelt: »Das ist die Tochter von der Frau, die ihrem Mann, der sie nicht mehr will, nachläuft!« Keine Gesellschaft hätte Frederica mehr empfangen und ehrbare Damen hätten bei einer zufälligen Begegnung die Straßenseite gewechselt. Auch wenn Maureens Verstand sagte, dass ihr Tod für alle Beteiligten die beste Lösung gewesen war, so zerriss es ihr beinahe das Herz. War Mutterliebe nicht wichtiger als gesellschaftliche Konventionen? Vielleicht war sie auch zu egoistisch, zeigte Fredericas Krankheit aber nicht, wie sehr sie die Mutter vermisste? Es gab jedoch kein Zurück mehr. Maureen musste sich an die Regeln halten und das Spiel bis zu ihrem wirklichen Tod mitspielen. Jeder einzelne neue Tag würde eine unsägliche Qual für sie bedeuten.
»Wie konntest du mir das antun, Philipp Trenance? Wie konntest du es unserer Tochter antun?«, rief sie in die Stille des Zimmers. Plötzlich sah sie Willard Foster vor sich. Attraktiv, charmant, aufmerksam, ein angenehmer Gesellschafter und hervorragender Politiker, der sich auch für das einfache Volk einsetzte …
Schnell wischte Maureen sich über die Augen, um das Bild Fosters zu vertreiben. Sie durfte nicht nur Philipp für ihr und Fredericas Schicksal verantwortlich machen. Foster trug ebenso große Schuld. Ebenso wie Murdoch und der noch namenlose Dritte. Mochte Foster auch noch so viel Ehrbarkeit ausstrahlen und in den höchsten Kreisen geschätzt sein,
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