Im Schatten der Vergeltung
unbrauchbar geworden und binnen Minuten wurden wir bis auf die Haut durchnässt. Da kam wie der Retter in der Not ein Reiter des Weges, der unsere Notlage erkannte und selbstlos seine Hilfe anbot. Er führte uns einige Schritte durchs Unterholz zu einer einfachen Hütte mit einem dichten Dach. Dann eilte er zu seinem Heim und kehrte binnen kurzer Zeit mit seiner eigenen Kutsche zurück.«
»Natürlich bat er uns, Gäste in seinem Haus zu sein. Wir nahmen die Einladung dankbar an«, fuhr seine Frau mit glänzenden Augen fort. »Was für ein Gentleman! Und was für ein Anwesen! Nicht sehr groß, aber elegant. Ich hätte in Cornwall nie einen solchen Komfort erwartet. Kurz und gut, wir blieben für eine Woche, bis wir uns von dem Schrecken erholt hatten und die Kutsche wieder repariert worden war. Leider war die Frau des Gentlemans erst kurz zuvor verstorben, so fanden keine Gesellschaften statt. Dabei hat er eine reizende Tochter. Jung, hübsch und wohl erzogen. Sie trauert schrecklich um ihre Mutter, und war viel zu blass und zu dünn.«
Eine Gänsehaut kroch über Maureens Arme. Das konnte nicht sein … War bestimmt nur ein Zufall … Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Sie versuchte, ruhig zu atmen und folgte der weiteren Unterhaltung.
»Du neigst zu Übertreibungen, meine Liebe.« Lord Darlington zwinkerte seiner Frau zu. »Das Mädchen war gerade recht. Sie ist in einem Alter, in dem sie noch wächst.«
Lady Darlington teilte seine Meinung offenbar nicht und schüttelte nachhaltig den Kopf.
»Nein, nein, ich habe ein Auge dafür. Das Mädchen litt großen Kummer, der ihr junges, unverdorbenes Herz zerfraß. Hast du nicht die dunklen Schatten unter ihren Augen und ihr stumpfes Haar bemerkt? Ich befürchtete, sie würde von einer schweren Krankheit in der Blüte ihrer Jugend hinweggerafft, obwohl unser Gastgeber versicherte, dem Mädchen würde nichts Ernsthaftes fehlen. Ach Henry, du musst ihm unbedingt schreiben und ihn an sein Versprechen, uns in London zu besuchen, erinnern! Das Trauerjahr muss bald vorüber sein. Er und seine Tochter können dann wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.«
»Ja, meine Liebe. Das werde ich tun.«
Lady Darlington fuchtelte aufgeregt mit dem Fächer. Sie beugte sich zu Maureen, die ihren eigenen Fächer so fest umklammert hielt, dass einige Federn abbrachen und zu Boden fielen. Das konnte unmöglich sein, dachte sie mit einem Anflug von Panik. So einen Zufall kann es nicht geben. Ganz sicher sprach Lady Darlington von einer anderen Familie, Witwer und junge Mädchen gab es schließlich viele in Cornwall, es passte jedoch jedes Detail wie ein Mosaiksteinchen zum anderen. Maureen schluckte mühsam, ihre Zunge schien ihr am Gaumen zu kleben.
»Wie ... wie ist denn der Name des Gentlemans?«, würgte sie hervor. In ihren Ohren klang ihre Stimme wie schepperndes Blech, sie musste sich aber Gewissheit verschaffen.
Leider ging Lady Darlington auf ihre Frage nicht gleich ein, sondern flüsterte so laut, dass es alle Umstehenden hören konnten:
»Lady Sybil, ihr müsst diesen Gentlemen unbedingt kennenlernen! Er ist Witwer und Ihr seid Witwe, beide nicht mehr in der Blüte der Jugend stehend. Und er ist, trotz seines Alters, sehr attraktiv.« Sie blickte sich um. »Ich darf das sagen, denn ich bin glücklich verheiratet, zudem könnte ich seine Mutter sein.« Sie klappte den Fächer zusammen und hieb ihrem Mann leicht auf den Unterarm. »Gleich morgen muss du ihm schreiben und ihn und seine Tochter so bald wie möglich einladen, vielleicht sogar schon zu Weihnachten. Sie wären eine wahre Bereicherung für unseren Kreis.« Grübelnd zog sie die Unterlippe zwischen die Zähne. »Wenn ich mich doch nur an seinen Namen erinnern könnte! Manchmal habe ich ein Gedächtnis wie ein Sieb.«
Lord Darlington rollte mit den Augen und tauschte mit Willard Foster ein verschmitztes Lächeln, während bei Maureen die Spannung ins Unermessliche wuchs.
»Sir Philipp Trenance ist sein Name, meine Liebe, und der herrliche Besitz an der Küste heißt Trenance Cove.«
Als hätte ihr jemand eine Faust in den Magen geschlagen, kehrte der Schmerz zurück. Seit Wochen hatte sie keine Beschwerden mehr gehabt und ihre Magenprobleme beinahe vergessen. Ihre schlimmste Vermutung war bestätigt worden. Ein Schauer schüttelte sie, als sie an die Worte dachte, die Lady Darlington über ihre Tochter gesagt hatte. Bemüht, sich nicht den Aufruhr der Gefühle, der in ihrem Inneren tobte,
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