Im Schatten der Vergeltung
Gerade deswegen liebte er sie!
Monja spürte, in welchem Gewissenskonflikt er sich befand und sagte leise: »Ihr denkt, Ihr könnt Frederica mit Eurer Liebe vor diesem grausamen Schicksal bewahren, das ist aber ein Irrtum. Bewahrt Euch die Liebe in Eurem Herzen und Frederica in Euren Erinnerungen, so wie sie jetzt ist. Wenn Ihr sie heiratet und sie gebärt ein Kind, wird die Krankheit von Generation zu Generation weitergegeben, denn sie kann auch an männliche Nachkommen vererbt werden. Letztendlich liegt die Entscheidung aber bei Euch.«
Cedric presste beide Hände vors Gesicht, sein Körper wurde wie von Krämpfen geschüttelt, dann besann er sich auf seine Würde und richtete sich auf. Einen Moment verspürte er Lust, auf die Frau, die Überbringerin der Nachricht, die sein ganzes Lebensglück von einem Augenblick auf den anderen zerstört hatte, einzuschlagen. So lange, bis sie leblos am Boden liegen würde. Er würde damit aber die Wahrheit, die schreckliche, grausame Wahrheit nicht ändern können, an der die Frau keine Schuld trug. Schuld allein war das Schicksal, dass sich ungerecht und grausam in sein Leben drängte und alles zerstörte, das ihm wichtig war.
»Verschwinde aus Cornwall!«, zischte er ihr zu. »Ich will dich nie wiedersehen.«
Der Mann, der sich jetzt auf sein Pferd schwang und in halsbrecherischem Tempo durch den Wald galoppierte, hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem Cedric Collingford, der noch Augenblicke zuvor glücklich und sorglos übers Land geritten war. Er war um Jahre gealtert.
R egungslos sah Monja dem Reiter nach, bis er hinter der Wegbiegung verschwunden war, dann lächelte sie zufrieden. Er hatte so reagiert, wie Lady Sybil es vorausgesagt hatte. Monja verstand nur nicht, warum ihre Herrin den Mann als Menschen ohne Rückgrat, schmächtig, blass und farblos geschildert hatte. Monja hatte einen anderen Eindruck von ihm gewonnen. Wenn seine Züge im landläufigen Sinn auch nicht als schön zu bezeichnen waren, war er groß und kräftig, wirkte selbstbewusst und wie ein Mann, der genau wusste, was er vom Leben erwartete. Trotz seiner eleganten Kleidung war er kein modischer Stutzer. Sie seufzte. Er war genau die Art von Mann, die jedes Frauenherz höher schlagen ließ, aber Frauen ihrer Gesellschaftsschicht nicht mehr als einen flüchtigen Blick schenkte.
Sie wunderte sich, warum Lady Sybil dieses Gespräch nicht selbst geführt hatte. Schließlich war sie eine richtige Lady und der Mann ein Lord. Er hätte sich Lady Sybil gegenüber bestimmt nicht so unfreundlich benommen. Nach allem, was ihre Herrin erzählt hatte, war sie es selbst gewesen, die Maureen Trenance bis zu deren Tod begleitete. Monja hätte die unbekannte Maureen Trenance gerne kennengelernt. Deren Tochter Frederica hatte sie bisher nur aus der Ferne gesehen, und sie hatte Mitleid mit ihr. Das Mädchen war zwar eine Schönheit, vor ihr lag jedoch ein tragisches Schicksal. Lady Sybil hatte ein gutes Werk getan, dem jungen Mann die Wahrheit zu offenbaren. Monja fragte sich, ob ihre Mission jetzt beendet war und sie weiterreisen würden, denn sie begann, Gefallen an der rauen Schönheit Cornwalls zu finden.
Monja wandte sich um und ging den Weg in entgegengesetzte Richtung entlang. Sie hatte getan, was ihr aufgetragen worden war und ihr Bestes gegeben. Natürlich konnte sie nicht sicher sein, dass der Plan funktionierte, der Bräutigam würde aber über die Hochzeit bestimmt noch einmal nachdenken.
P hilipp Trenance sah unwillig von seiner Zeitung auf, als Jenkins ohne anzuklopfen in die Bibliothek trat.
»Sir, verzeiht ...«, keuchte er. »Aber Miss Frederica ... in ihrem Zimmer ... Bitte, kommt sofort!«
Es musste etwas geschehen sein, dass den sonst distinguierten Butler jegliche Konventionen vergessen ließ. Philipp sprang auf und eilte, zwei Stufen auf einmal nehmend, in das Zimmer seiner Tochter. Frederica lag bewegungslos im Sessel, die Lippen blutleer und das Gesicht so weiß, das es sich kaum vom Stoff ihres Musselinkleides unterschied. Für einen Moment befürchtete Philipp, sie wäre tot.
»Mein Gott, Frederica!« Er sah, wie ihre Augenlider flatterten, und wandte sich zu Jenkins, der ihm gefolgt war und in der offenen Tür stand. »Was ist geschehen?«
»Vor ein paar Minuten brachte ein Bote einen Brief für Miss Frederica. Ich nahm ihn entgegen und händigte ihn Eurer Tochter aus. Kaum hatte ich den Raum verlassen, hörte ich einen gellenden Schrei. Sofort eilte ich zu Miss Frederica zurück und
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