Im Schatten der Vergeltung
erfolgen. Sie hatten bisher nicht schlecht gelebt, Esther würde sich aber über neue Kleider aus chinesischer Seide freuen, die derzeit der letzte Schrei in London waren. Seide, die auf Schiffen, die er finanziert hatte, über den Ozean gekommen war. Beim Gedanken an die glücklichen und dankbaren Gesichter seiner Familie wurde es Linnley warm. Einmal in seinem Leben hatte er allein etwas entschieden, und es würde ein Erfolg werden, dessen war er sicher. Dann würden auch die Schatten der Vergangenheit, die ihn immer wieder bedrückten und in quälenden Albträumen Nacht für Nacht peinigten, an Bedrohlichkeit verlieren.
20. Kapitel
D en Hut tief ins Gesicht gezogen, die Hände in den Hosentaschen vergraben und um einen breitbeinigen, männlichen Gang bemüht, schritt Maureen über die Hauptstraße des kleinen Fischerdorfes Fowey. Es tat gut, die wärmende Sonne auf der Haut und den Geruch nach Fisch, der vom Hafen heraufwehte, in der Nase zu spüren. Bisher war alles zu ihrer Zufriedenheit verlaufen. Mit Monjas Hilfe hatte sie die unglückselige Beziehung ihrer Tochter zu George Linnley zerstört, und David Linnley steuerte auf seinen Bankrott zu. Trotzdem empfand sie kein Gefühl der Genugtuung, sondern Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. Was sollte jetzt werden? Wohin sollte sie gehen, jetzt, nachdem die Ziele, die ihr in den letzten Monaten geholfen hatten das Leben zu ertragen, erreicht waren?
Derart in Gedanken versunken, bemerkte Maureen die beiden Frauen erst, als diese nur noch wenige Meter von ihr entfernt waren. Lady Esther und Lady Seelwood! Panisch blickte Maureen sich um, es gab keine Möglichkeit, den Damen auszuweichen. Trotz ihrer Verkleidung befürchtete sie, erkannt zu werden. Zu ihrer Rechten befand sich ein Ladengeschäft, in dessen Schaufenster bunte Bänder und Hüte ausgestellt waren. Es würde zu auffällig sein, wenn ein Mann diesen modischen Krimskrams betrachten würde, darum schlüpfte Maureen schnell in den schmalen Durchgang zum Hinterhof des Hauses. Mit klopfendem Herzen erwartete sie, die Frauen würden an ihr vorübergehen. Zu ihrem Schrecken blieben sie jedoch genau vor dem Laden stehen, und Maureen wagte kaum zu atmen, um nicht entdeckt zu werden.
»Seht mal, Esther, dieses hellbraune Band! An meinem neuen Hut würde es sich hübsch machen.« Esther Linnley murmelte etwas, das sich in Maureens Ohren wie eine Zustimmung anhörte. »Wann erwartet Ihr Euren Sohn zurück?«, sprach Lady Seelwood weiter. »Er ist ja schon seit Monaten unterwegs.«
Maureen hörte Lady Esther kichern. »Er befindet sich schließlich auf der Hochzeitsreise. Dabei darf man junge Leute nicht drängen, schließlich möchte ich bald ein Enkelkind in den Armen halten.«
»Schreibt er regelmäßig?«
»Das kann ich nicht gerade behaupten. Vor vier Wochen erhielten wir einen ziemlich nichtssagenden Brief aus Rom. Die beiden jungen Leute haben etwas Besseres zu tun, als an ihre alten Eltern zu schreiben.«
Lady Seelwood lachte laut. »Eure Schwiegertochter ist aber auch entzückend. George und sie sind ein perfektes Paar, und Ihr, Esther, habt die ganze Sache arrangiert. Mein Kompliment!«
Lady Seelwood verwendete genau die schmeichelnden Worte, die Esther Linnley wie die Luft zum Atmen brauchte. Scheinbar beschämt entgegnete sie: »Ich habe dem Schicksal nur etwas auf die Sprünge geholfen. War die Hochzeit nicht ein rauschendes Fest? Dabei hatte ich Angst, die Braut würde die Strapazen nicht durchstehen, nachdem sie im Sommer so schwer erkrankt war.«
Während des letzten Satzes öffnete Esther Linnley die Tür zu dem Laden und trat ein. Lady Seelwood folgte ihr, und Maureen konnte ihre Antwort nicht mehr verstehen. Sie hatte aber auch so genug gehört. Maureen lehnte sich an die Hauswand, und ihr Herz klopfte in ihrem Hals. Nein, sie hatte sich nicht verhört – George Linnley war seit geraumer Zeit verheiratet und befand sich auf Hochzeitsreise irgendwo in Europa! Wie konnte das sein? Monja hatte ihm doch erst vergangene Woche das tragische Schicksal von Fredericas Mutter erzählt. Zuvor hatte sie Frederica und ihren Verlobten mehrmals bei Treffen und deutlichen Liebesbeweisen beobachten können. Maureen zweifelte nicht an der Aufrichtigkeit der Zofe. Was hätte sie davon, sie zu belügen und zu hintergehen? Schließlich wurde Monja für ihre Aufgabe gut bezahlt.
Maureen brauchte ein paar Minuten, um ihre Gedanken zu ordnen, dann kehrte sie auf direktem Weg in den Gasthof zurück. Die roten
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