Im Schatten der Vergeltung
Flecken auf ihren Wangen kamen weniger von dem steilen Aufstieg als von der Entdeckung, die sie gerade gemacht hatte. Monja erschrak bei ihrem Anblick und fuhr mit einem leisen Schrei auf. Die Flickarbeit, mit der sie sich beschäftigt hatte, fiel achtlos zu Boden.
»Lady ... ähm ... Maurice!«, rief sie. »Was ist geschehen? Du siehst aus, als wäre dir der Leibhaftige persönlich begegnet!«
Monja hatte immer noch Schwierigkeiten, ihre Herrin auf eine so persönliche Art anzusprechen, besonders, wenn sie alleine waren.
Breitbeinig baute Maureen sich vor der Zofe auf und stemmte, ganz und gar männlich, die Hände in die Hüften.
»Was geht hier vor? Angeblich hast du letzte Woche mit dem Verlobten von Frederica Trenance gesprochen. Wie erklärst du es dir dann, dass ich soeben erfahren habe, dass dieser längst verheiratet mit seiner Frau seit Wochen auf Hochzeitsreise ist?«, fragte Maureen mit einem Unterton in der Stimme, der Monja erschrocken keuchen ließ.
»Das kann nicht sein ...«, murmelte sie. »Ich lüge Euch doch nicht an, Mylady!« Über das Misstrauen in den Augen ihrer Herrin entsetzt, verwendete sie die offizielle Anrede. »Ihr müsst mir glauben, er kam direkt von einem Stelldichein mit diesem Mädchen, als ich ihn auf dem Waldweg abpasste. Er war auch sehr verstört, als ich ihm die Wahrheit über Frederica mitteilte und meinte zuerst, er würde sie unter allen Umständen zur Frau nehmen. Ein Zweifel ist ausgeschlossen, es war der Verlobte von Frederica Trenance, mit dem ich gesprochen habe.«
Verwirrt strich Maureen sich über die Stirn. Irgendetwas stimmte hier nicht, stimmte ganz und gar nicht! Sie hatte einen schrecklichen Verdacht.
»Wie sah der Mann aus?«, fragte sie langsam und jedes Wort betonend und fixierte Monja mit einem solch scharfen Blick, dass diese erschrocken zurückwich. »Beschreibe ihn mir genau!«
»Groß, schlank, schwarzhaarig. Er hatte ... lasst mich überlegen ... ja, er hatte grüne Augen und ein markantes, etwas spitzes Kinn. Ein sehr attraktiver Mann, aber kein Stutzer oder Dandy.«
Entsetzt klammerte Maureen sich an den Bettpfosten, denn plötzlich begann sie am ganzen Körper zu zittern.
»George Linnley hat dunkelblondes Haar, graue Augen und ein eher fliehendes Kinn«, flüsterte sie heiser. »Mein Gott, Monja! Mit wem hast du gesprochen?«
»Mit dem Mann, den Frederica Trenance beinahe täglich getroffen hat, seit ich ihr folgte, und der regelmäßiger Gast im Herrenhaus gewesen ist. Ihr selbst habt mir das Haus und das Mädchen gezeigt«, trumpfte Monja auf.
»Wer immer es war, es war nicht George Linnley!« Mühsam rang Maureen nach Luft, ihre Kehle war wie zugeschnürt. »Du gehst sofort nach Linnley Park und findest heraus, seit wann und mit wem George Linnley verheiratet ist.«
»Aber Mylady ... wie soll ich das denn machen? Außerdem ... es ist ein langer Weg, ich werde unmöglich vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein können.«
Mit einer drohenden Geste trat Maureen einen Schritt auf Monja zu. Sie war versucht, sie mitten ins Gesicht zu schlagen, aber ebenso schnell, wie ihre Wut gekommen war, verrauchte sie auch wieder. Monja konnte nichts dafür. Sie hatte ihr George Linnley nicht näher beschrieben, hatte nicht selbst überprüft, ob er tatsächlich mit ihrer Tochter verlobt war. Sie hatte aus den Bruchstücken von Informationen, die sie von Lady Darlington und Willard Foster erhalten hatte, und ihrer Erinnerung an Fredericas schwärmerische Verehrung gegenüber George Linnley ihre eigenen Schlüsse gezogen, ohne die Tatsachen ausreichend zu überprüfen. In den vergangenen Monaten war ihr kein so verheerender Fehler passiert! Immer hatte sie alles bis ins kleinste Detail geplant und durchgeführt. Ein Schauer schüttelte sie. Womöglich hatte sie eine wirklich gute Beziehung Fredericas durch ihre Handlung zerstört. Wie mochte es ihrer Tochter jetzt gehen? Maureen wusste, sie würde nicht eher Ruhe finden, bis sie sich selbst davon überzeugt hatte, dass Frederica wohlauf war. Das konnte sie aber nur, indem sie Trenance Cove aufsuchte.
S till lag das Herrenhaus im Licht der nachmittäglichen Sonne, die sich in den blitzblanken Fensterscheiben spiegelte. Mit erhobenem Kopf stolzierte ein Pfau über das kiesbestreute Rondell, seine farbenprächtigen Schwanzfedern schleiften über den Kies. Irgendwo sang eine Amsel, und in den Blättern der Bäume rauschte der leichte Frühlingswind.
Beim Anblick dieser Idylle durchzog Maureens Herz
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