Im Schatten der Vergeltung
Briefe geantwortet haben ... Überhaupt, wenn man das Verhalten deiner Mutter während deiner Kindheit betrachtet, so kommt ihre heutige Zurückweisung nicht überraschend für dich, oder?«
Stumm schüttelte Maureen den Kopf, denn sie brachte kein Wort hervor. Die Tränen schnürten ihr die Kehle zu, sie konnte aber nicht weinen. Die Jahre der Trennung hatten nichts verändert, Laura empfand heute nicht mehr Liebe als früher für sie. Ihr Vater war tot, gestorben an gebrochenem Herzen über den Verlust seiner Heimat und vielleicht auch vor Sehnsucht nach seiner einzigen Tochter. Maureen wünschte sich, einmal richtig weinen zu können. Das würde ihr Erleichterung verschaffen, aber es drang nicht mehr als ein trockenes Schluchzen aus ihrer Kehle. Trotz allem, was heute vorgefallen war – Laura war und blieb ihre Mutter, und sie würde Schottland nicht ohne sie wieder verlassen.
Z u Maureens großer Freude verlief die erste Begegnung zwischen Frederica und ihrer Großmutter überraschend harmonisch. Sie hatte Frederica über die Umstände, unter denen Laura lebte, aufgeklärt, und auch wenn das Mädchen entsetzt war, ließ sie sich nichts anmerken. Zu dritt saßen sie an dem wackligen Tisch – Maureen hatte sich aus der Schenke einen Stuhl ausgeliehen – tranken heißen Tee, den Maureen mitgebracht hatte, und Frederica plauderte unbeschwert und erzählte von Trenance Cove. So verschlossen und hart war Lauras Herz doch nicht, als dass sie ihre Enkelin abweisend behandelt hätte. Maureen kam aus dem Staunen nicht heraus, als Laura gezielte Fragen nach ihrem Heim und nach Cornwall stellte, die Frederica bereitwillig beantwortete. Allerdings verspürte Maureen auch ein wenig Bitterkeit, denn eine solche Unterhaltung mit ihrer Mutter hätte sie selbst gewünscht. Sie verbot sich aber Eifersucht, war stattdessen dankbar, ihre Mutter und ihre Tochter in einer solchen Harmonie zu erleben.
Nach einer Stunde drängte Maureen zum Aufbruch, denn sie bemerkte, wie der Besuch Laura erschöpfte. Frederica wäre gern noch länger geblieben, daher fragte sie, als sie Laura die Hand gab: »Ich darf doch wiederkommen?«
Laura nickte. »Gern, mein Kind, aber ich glaube, ihr werdet bald nach England zurückkehren.« Fragend sah sie zu Maureen.
»Wir haben keine Eile«, antwortete Maureen mit leicht gerunzelter Stirn. Sie konnte sich nicht erinnern, von Laura jemals mein Kind genannt worden zu sein. Wie konnte es möglich sein, dass Frederica Lauras Herz offenbar erobert hatte, und ihr selbst war es niemals gelungen? »Ich werde so lange in Schottland bleiben, wie du mich brauchst«, fuhr sie schnell fort. »Oder bis du einwilligst, uns in den Süden zu begleiten.«
Lauras Blick verdüsterte sich, sie schwieg jedoch. Hielt sie sich wegen Frederica zurück? Maureen wusste nicht, was in ihrer Mutter vor sich ging. Sie hatte sie noch nie verstanden. Einen Moment verspürte sie den Drang, so schnell wie möglich wieder abzureisen, aber sie konnte nicht einfach wieder davonlaufen, wie sie es als junges Mädchen getan hatte. Selbstverständlich würde sie sich um Laura kümmern und sich auch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, auch wenn Laura es ihr nicht leicht machen würde. Am meisten wünschte sich Maureen, dass Laura sich überwinden und Philipp die Hand reichen würde. Sie, Maureen, würde dazu nicht viel beitragen können, aber vielleicht vermochte Frederica, dieses Wunder geschehen zu lassen.
D ie nächsten zwei Wochen verliefen in gleichförmiger Monotonie. Frederica hatte sich mit einer Nachbarstochter angefreundet. Die Baines bewohnten ebenfalls ein Haus am Charlotte Square, im Winter zogen sie auf ihren Landsitz in der Nähe von Kelso, da es dort milder als in Edinburgh war. Mrs Baines hatte Maureen bald zum Tee eingeladen, so hatten sich die Familien kennengelernt. Sie war eine freundliche Dame, mit der sich gut plaudern ließ. Maureen war dankbar, dass Frederica ihre neue Freundin jederzeit besuchen durfte, denn sie selbst verbrachte so viel Zeit wie möglich bei ihrer Mutter und konnte sich in dieser Zeit nicht ausreichend um ihre Tochter kümmern.
Maureen gegenüber verhielt sich Laura nach wie vor reserviert, aber nicht mehr so unfreundlich wie bei ihrer ersten Begegnung auf dem Friedhof. Frederica hatte ihre Großmutter noch ein paar Mal besucht, zog es jetzt jedoch vor, sich lieber mit der gleichaltrigen Linda Baines die Zeit zu vertreiben. Maureen verstand, dass ein junges Mädchen nicht tagaus, tagein am
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