Im Schatten der Vergeltung
in der Familie zu liegen«, entfuhr es Philipp, Laura reagierte nicht auf seine Bemerkung.
»Ich weiß gar nicht, ob meine Eltern noch leben«, fuhr sie fort. »Wahrscheinlich nicht, und es ist mir auch gleichgültig. Trotzdem ist meine Heimat der schönste Platz auf der Welt.«
»Wenn du dich kräftig genug fühlst, können wir gemeinsam an die Westküste reisen. Noch zeigt sich der Herbst von seiner schönen Seite, und die Straßen sind gut befahrbar«, schlug Maureen vor.
»Nein!« Das Wort war ein lauter Schrei. »Erst nach meinem Tod! Keinen Tag eher!« Sie atmete tief durch. »Ich dachte mir, ihr könnt einen zuverlässigen Rechtsanwalt beauftragen, der sich, wenn meine Zeit gekommen ist, darum kümmern wird, dass meine armseligen Überreste nach Degnish kommen. Ich weiß, es ist viel verlangt und ihr habt keinen Grund, mir diese Bitte zu erfüllen, so ablehnend wie ich besonders dir, Philipp, begegnet bin. Ich würde verstehen, wenn ihr mich einfach meinem Schicksal überlassen würdet.«
»Aber Mutter!« Maureen fasste nach Lauras Hand und drückte sie fest. »Deinen letzten Wunsch werden wir selbstverständlich respektieren und erfüllen. Beantworte mir aber bitte noch eine letzte Frage: Wie lautete dein Name, bevor du Vater geheiratet hast? Wie die Namen meiner Großeltern?«
Laura zögerte, und Maureen erwartete bereits, dass sich Laura weigern würde, den Namen preiszugeben, doch dann gab sie sich einen Ruck.
»McCorkindale, aber ich möchte niemals wieder mit diesem Namen in Verbindung gebracht werden. Auf meinem Grabstein soll ganz schlicht Laura stehen, mehr nicht!«
3. Kapitel
N achdem sie Laura verlassen und in das Haus am Charlotte Square zurückkamen, war Maureen erleichtert, dass Frederica bereits schlief. Lauras Eröffnung über den Bruch mit ihren Eltern hatte sie aufgewühlt, und sie wollte in Ruhe ihre Gedanken ordnen. Schnell zog sie ihren Mantel aus und ging in den Salon. Philipp folgte ihr, schenkte zwei Gläser Wein ein, reichte eines Maureen, dann setzten sie sich vor den Kamin, in dem Jenny bereits ein Feuer entzündet hatte. Auch Philipp hatte während der Fahrt von der Altstadt bis hierher kein Wort gesprochen. Nachdenklich starrte er in die Flammen.
»McCorkindale ...«, murmelte er. »Wo habe ich diesen Namen schon einmal gehört?«
Maureen zuckte die Achseln.
»Es ist wahrscheinlich ein gängiger schottischer Name, so wie MacDonald, Fraser oder Cameron.«
Philipp schüttelte den Kopf.
»Nein, ganz im Gegenteil, Maureen. McCorkindale ist ein eher seltener Name, deswegen ist er mir ja im Gedächtnis geblieben. Es ist schon lange her, aber da gab es mal einen Vorfall ... damals, als ich in Schottland stationiert war.« Er machte eine Pause. »Ich bekomme es nicht mehr zusammen, aber ich kann versuchen, im Stadtarchiv nachzuschlagen. Auch in Schottland ist wie bei uns in England jeder Grundbesitz mit den jeweiligen Eigentümern eingetragen. Das Zentralregister befindet sich bestimmt hier in der Hauptstadt.«
»Das würdest du tun? Maureen schenkte ihm ein dankbares Lächeln. »Kannst du auch herausfinden, ob jemand der McCorkindales noch lebt? Es ist ein seltsames Gefühl zu erfahren, dass man vielleicht noch Großeltern oder weitere Verwandte haben könnte.«
Philipp nickte, dann schwieg er, starrte wieder ins Feuer, bis er schließlich leise sagte: »Maureen, bei allem Verständnis für die Krankheit deiner Mutter, wir müssen an unsere Heimreise denken. Du hast alles getan, was möglich ist, gegen Lauras Starrsinn kommst du aber nicht an. Sie ist entschlossen, in Schottland zu bleiben, das müssen wir akzeptieren. Ich bin bereit, noch ein, höchstens zwei Wochen zu warten. Das gibt mir genügend Zeit, um mit einem Anwalt die Formalitäten zu regeln, damit Laura nach ihrem Tod in ihre Heimat überführt wird. Sobald das erledigt ist, müssen wir nach Hause zurückkehren.«
Gedankenverloren sah Maureen in ihr Weinglas. Philipp hatte recht, trotzdem war ihr bei dem Gedanken, die Mutter krank und hilflos zurückzulassen, unwohl. Sie war hin- und hergerissen zwischen zwei Pflichtgefühlen: Auf der einen Seite gehörte sie zu Philipp und besonders zu Frederica, aber sie konnte Laura auch nicht einfach im Stich lassen. Was sollte sie nur tun?
I n dieser Nacht fand Maureen keinen Schlaf. In den letzten Tagen hatte sie sich ihrer Mutter näher gefühlt als jemals zuvor in ihrem Leben. Maureen spürte, dass der Panzer um Lauras Herz zu bröckeln begann. Die Vorstellung, ihrer
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