Im Schatten der Vergeltung
auf dem Kaminsims durchdrang die Stille, als Laura mit leiser, aber deutlicher Stimme zu erzählen begann: »Mutter und ich wussten, dass Vater mit James Stuart in Verbindung stand und ein regelmäßiger Briefverkehr mit Rom unterhielt. Er hatte den Hannoveraner auf dem Thron niemals anerkannt, denn er war der Meinung, der schottische Thron gehöre einem Stuart. Natürlich sprach Vater mit uns niemals darüber. Politik war nichts für dumme, ungebildete Frauen. Er hat meiner Mutter nie verziehen, dass sie nur eine Tochter geboren hatte. Archibald McCorkindale brauchte einen Erben, doch meine Mutter war nicht in der Lage, nach meiner Geburt weitere Kinder zu bekommen. Von Liebe war zwischen meinen Eltern nichts zu spüren. Sie waren von ihren Eltern miteinander verheiratet worden, um die aneinander grenzenden Ländereien zu vereinigen. Kurz nach meinem zwölften Geburtstag stellte ich fest, dass meine Mutter einen Liebhaber hatte, einen jungen, hübschen Stallburschen. Er war nicht der erste und auch nicht der letzte. Irgendwann habe ich es aufgegeben, ihre zahlreichen Bettgefährten zu zählen.
Als die Botschaft, Prinz Charles Edward Stuart sei in Loch-nan-uamh eingetroffen, Bothy Castle erreichte, eilte mein Vater mit vier Dutzend Männern an die Seite des jungen Prinzen. Für drei Tage war der Prinz zu Gast in unserer Burg. Ich gebe zu, er war ein freundlicher junger Mann mit einem hübschen Gesicht. Dann verließen sie Bothy Castle, um sich für den Kampf gegen die Engländer zu rüsten. Für uns begann eine Zeit des Wartens und der Ungewissheit. Wochenlang hörten wir nichts von den Ereignissen in Schottland, denn Loch Melfort liegt im äußersten Westen, aber weder Mutter noch ich waren unglücklich über die Situation. Das Leben in der Burg verlief ohne Vater weitaus ruhiger und angenehmer. So verlebten wir einige friedliche Wochen.
Dann erfuhren wir durch Boten von den ersten Erfolgen von Bonnie Prince Charlie, wie der Prinz voller Verehrung genannt wurde. Vielleicht tue ich meiner Mutter Unrecht, aber ich konnte mich nie des Eindrucks erwehren, dass sie hoffte, Vater würde in einer der Schlachten fallen. Schließlich kam es zu dem Kampf im Moor von Culloden. Nach der vernichtenden Niederlage zogen so gut wie täglich Gruppen von Schotten an Bothy Castle vorüber, die auf die Hebrideninseln oder nach Irland flohen. Alle berichteten von den Schrecken, die die englische Armee im ganzen Land verbreitete. Männer, Frauen und unschuldige Kinder wurden wie Vieh abgeschlachtet, gleichgültig, ob sie an dem Aufstand beteiligt gewesen waren oder nicht. Und schließlich kam der große, unbesiegbare Archibald McCorkindale nach Hause. Er war zwar verletzt – ein englischer Soldat hatte ihm mit dem Bajonett eine tiefe Wunde am linken Oberarm beigebracht –, aber genauso herrisch und selbstgefällig wie immer.«
Laura hielt inne, griff nach dem Whiskyglas und stürzte den Alkohol mit einem Schluck hinunter. Maureen und Philipp hatten wie gebannt gelauscht und sahen sich schweigend an. Ab und zu knisterten die Holzscheite im Kamin. Das einzige Geräusch, bis Laura fortfuhr:
»Obwohl es über drei Jahrzehnte zurückliegt, erinnere ich mich an den Tag, als wäre es gestern gewesen. Jedes Wort, das gesprochen wurde, jede Einzelheit hat sich unauslöschlich in meine Erinnerung gebrannt. Ich kann sogar noch die schwarzen Fliegen summen hören, die um die Wunde meines Vaters herumschwärmten.
Ich war gerade dabei, eine heilende Salbe auf die Verletzung aufzutragen, als meine Mutter in die Halle stürmte. Ihr Haar lugte unter der Haube hervor, und ich bemerkte die nur flüchtig gebundenen Schnüre ihres Kleides. Wahrscheinlich war sie gerade aus dem Bett eines ihrer Liebhaber gestiegen. Sie warf einen kurzen Blick auf McCorkindale und sagte: ,Stell dich nicht so an! An der Verletzung wirst du sicher nicht sterben.’
,Den Gefallen werde ich dir bestimmt nicht tun! Außerdem muss ich nach Inverary.’ Er wandte sich an mich. ,Beeil dich gefälligst, Laura. Leg mir einen Verband an, ich muss so schnell wie möglich aufbrechen.’
Mutter war über diese Eröffnung erschrocken und griff spontan nach Archibalds Hand.
,Zu den Campbells? Um Gottes willen! Willst du dich selbst ausliefern?’
Der Clan der Campbells stand seit über hundert Jahren auf Seiten der englischen Krone und hatte bei Culloden seine eigenen Landsleute niedergemetzelt. Unser Grund und Boden lag wie eine Enklave im Hoheitsgebiet der Campbells.
,Die
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