Im Schatten der Vergeltung
Hochländer haben verloren’, sagte mein Vater. Es war, als spräche er zu sich selbst, denn er sah weder mich noch meine Mutter an. ,Sie waren von Anfang an zum Scheitern verurteilt! Man stelle sich mal vor: Da kommt ein schmächtiger Jüngling, der sein ganzes Leben unter italienischer Sonne verbracht hat, und meint, er könne binnen kurzer Zeit die gesamte englische Armee auslöschen!’
,Und doch hast du ihn unterstützt! Du warst schließlich einer der Ersten, der den Prinz auf schottischem Boden begrüßt hat.’
Der Vorwurf in der Stimme meiner Mutter war nicht zu überhören, und Vater sah sie mit einem eisigen Blick an.
,Weil Charles ein Schotte ist, genau wie wir. Und weil er Katholik ist wie wir. Und außerdem, weil dieser Deutsche, der in London auf dem Thron sitzt, dieser Ausbeuter und Tyrann, so schnell wie möglich verschwinden soll. Jeder aufrechte Schotte hätte an Charles Seite stehen müssen, dann wäre die Sache zu unseren Gunsten ausgegangen.’
,Du kannst nicht zu den Campbells gehen!‘, entfuhren mir die Worte. ‚Sie sind die größten Verräter im ganzen Land.’
Mit offenem Mund starrte Archibald mich an. Seit er angekommen war, hatte ich mich schweigend um seine Verletzung gekümmert und keinen Ton von mir gegeben. Jetzt fuhr er mich hitzig an: ,Ach, du kannst sprechen? Aber ich habe dich nicht um deine Meinung gebeten. Sieh lieber zu, dass du endlich fertig wirst. Bist du eigentlich zu irgendetwas nütze?’
,Warum willst du jetzt nach Inverary?’, schaltete sich meine Mutter ein.
,Ich hasse es zwar, vor anderen zu Kreuze zu kriechen, aber in diesem Fall bleibt mir wohl keine andere Wahl. Ich werde McCaulin Campbell meine Treue und Ergebenheit versichern.’
Falls meine Mutter an dem Erfolg des Vorhabens zweifelte, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie kannte ihren Mann gut genug, um zu wissen, jeglicher Kommentar würde ihr nur Ärger einbringen. Nur zu oft hatten wir die harte Hand McCorkindales zu spüren bekommen. Auch wenn ich längst wusste, wie sehr meine Mutter ihren Mann verachtete – gegen seine Fäuste war sie machtlos.
Mir selbst war es im Grunde gleichgültig, was mit Vater geschah. Ich konnte nicht ermessen, was das alles für uns bedeutete, und an Flucht dachte ich damals überhaupt nicht. Ich hatte mein ganzes Leben in Bothy Castle verbracht und mich nie weiter als drei, vier Meilen von der Burg entfernt. Ich vermochte mir gar nicht vorzustellen, wie es wäre, anderswo zu leben.
Vater beschloss, noch ein stärkendes Mahl zu sich zu nehmen, bevor er zu MacCaulin Campbell aufbrach, aber dazu kam es nicht mehr. Von einem Augenblick auf den nächsten standen plötzlich drei Männer in roten englischen Uniformen in der Halle. Wir hatten sie nicht kommen gehört, und niemand hatte uns warnen können, denn alle Knechte und Mägde waren unmittelbar nach der verlorenen Schlacht geflohen.
,Wir haben Sie erwartet – allerdings noch nicht so bald.’
Zum ersten Mal in meinem Leben bewunderte ich meinen Vater. Er stand mit dem angewinkelten verletzten Arm aufrecht in der Halle und sah den Männern ruhig entgegen. Kein Muskel zuckte in seinem Gesicht, obwohl einer der Offiziere den Gewehrlauf direkt auf sein Herz gerichtet hielt.
,McCorkindale?’, fragte er barsch. ,Eine falsche Bewegung, und du und deine Angehörigen liegen tot auf dem Boden, das schwöre ich dir!’
,Ja, ich bin McCorkindale, aber ich bin kein Feind. Ich habe mit dem Aufstand nichts zu tun.’
Einer der Männer lachte. Er war ungefähr im gleichen Alter wie der mit der Waffe. Bei dem Dritten handelte es sich um ein junges Bürschchen, kaum den Windeln entwachsen.
,Das sagen alle! Wir haben Beweise, dass du Dutzende Männer aus deinem Clan nach Culloden geführt hast.’
Scharf sog ich die Luft ein und versuchte, das plötzliche Zittern meiner Hände unter meiner Schürze zu verbergen. Ich warf einen unsicheren Blick zu meiner Mutter, die ebenfalls regungslos dastand.
Langsam zog Vater die buschigen Augenbrauen in die Höhe.
,Das mag wohl sein, aber Ihnen wird nicht entgangen sein, dass mein Landbesitz verschwindend klein ist. Wir befinden uns inmitten des Gebiets der Campbells.’ Er schaute den Offizier hochmütig an. ,Ich brauche Ihnen wohl nicht zu erklären, auf wessen Seite die Campbells stehen, oder? Was kann man daraus schlussfolgern? Dass ich Männer angeführt habe, die für den König kämpften. Jeder, der etwas anderes behauptet, muss sich wohl geirrt haben.’
Ich schnappte nach
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