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Im Schatten der Vergeltung

Im Schatten der Vergeltung

Titel: Im Schatten der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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meisten genossen habe.«
    Mit einer Spur von Belustigung zog George die linke Augenbraue in die Höhe.
    »Wenn ich dich nicht so gut kennen würde, wäre ich beinahe geneigt zu glauben, du empfindest unehrenhafte Gefühle für ...«
    »Genug!« Donnernd schlug Linnley mit der flachen Hand auf den Beistelltisch. »Wie kannst du es wagen, in einem solchen Ton mit deinem Vater zu sprechen?«
    George erhob sich und verbeugte sich steif.
    »Ich bitte um Verzeihung«, bemerkte er kühl. »Es lag nicht in meiner Absicht, dir nahe zu treten. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, es wartet noch unerledigte Korrespondenz auf mich.«
    Linnley wandte den Kopf ab und gab seinem Sohn mit einem kurzen Nicken zu verstehen, dass er sich entfernen durfte, dann atmete er tief durch und presste eine Hand auf sein pochendes Herz. Er wusste nicht, warum er sich eben derart ereifert und beinahe die Fassung verloren hatte. Das war sonst nicht seine Art, die Nachricht vom Lady Maureens Tod hatte ihn aber mehr getroffen, als er es nach außen zeigte. Als Philipp Trenance vor vielen Jahren Maureen nach Cornwall gebracht hatte, war ihr sein Herz sofort zugeflogen. Er hatte ihre Nähe gesucht, sich an ihrem Lachen erfreut und stumm mit ihr gelitten, wenn die Unterweisungen, die Esther ihr erteilte, für das junge Mädchen zu streng waren. Nein, er war nie in sie verliebt gewesen! Dazu trennte sie ein zu großer Altersunterschied. Lady Maureen hatte aber immer das verkörpert, was Linnley bewunderte: Unbeschwertheit, Lebenslust und impulsive Energie. Mit einem schmerzlichen Lächeln erinnerte er sich daran, dass er einst ebenso gewesen war. Das lag aber eine Ewigkeit, beinahe ein ganzes Leben, zurück. Die Ereignisse, die ihn geprägt und geformt hatten, würde er niemals vergessen. Vor einigen Jahren hatten sie auf Linnley Park einen Arzt zu Gast gehabt, dem er sein Vertrauen geschenkt hatte. Er hatte ihm alles erzählt, woraufhin der Mediziner ihm erklärte, seine Seele wäre traumatisiert. Linnley erinnerte sich noch gut daran, wie Esther laut darüber gelacht hatte.
    »Traumatisierte Seele? So einen Unsinn habe ich noch nie gehört. Wenn dir jemand einen Degen in die Brust stößt, oder wenn du dir bei einem Sturz die Knochen brichst – das ist eine Verletzung. Alles andere ist nur dummes Gerede!«
    Linnley hatte ihr zugestimmt, so wie er seiner Frau immer zugestimmt hatte. Sie besaß das Geld und damit die Macht. Linnley wollte die Vergangenheit vergessen, was ihm von Zeit zu Zeit auch gelang. Nachdenklich griff er an seine Brusttasche, in der es knisterte. Vor einigen Wochen hatte er einen Brief eines Bekannten aus der Vergangenheit erhalten. Er schrieb unregelmäßig, nicht mehr als zwei oder drei Mal im Jahr. Der Mann schien ein ausgefülltes und erfolgreiches Leben zu führen. Am liebsten hätte Linnley ihn vergessen, so wie er alles von früher vergessen wollte, es wäre aber unhöflich gewesen, den Kontakt abbrechen zu lassen. So antwortete Linnley mehr oder weniger regelmäßig mit nichtssagenden Worten. Was hatte er auch schon zu berichten? Wie hoch das Korn in diesem Jahr stand? Ob es einen guten Fischfang gegeben hatte? Oder dass seine beste Stute im Stall ein Fohlen geboren hatte? Das würde seinen früheren Freund wohl kaum interessieren. Diesmal würde er ihm aber etwas Interessantes zu berichten haben: die bevorstehende Hochzeit seines einziges Sohnes. Andererseits – vielleicht überlegte es sich George doch noch einmal, dann wäre es besser, wenn er vorerst nichts davon schrieb. Auf keinen Fall wollte er sich die Blöße geben müssen, falls die Heirat nicht zustande kommen sollte. Ach, er würde abwarten und erst im Herbst schreiben, wenn George verheiratet war.
    Nachdem er diese, für ihn schwere Entscheidung getroffen hatte, atmete Linnley erleichtert auf. Erneut dachte er an Frederica Trenance. Sie wäre die Richtige für George, nein, nicht nur für George, sondern auch für Linnley Park. Seufzend stellte er sich vor, wie ihr helles Lachen und ihre Unbekümmertheit Sonne und Licht in die alten Mauern des Schlosses bringen würde, Esther hatte es aber anders beschlossen. Pamela March war reich. Obwohl es um Linnley Park nicht schlecht stand, war ein warmer Geldregen nicht zu verachten. Das Dach musste repariert werden, und in den Balken saß der Wurm. Durch die Verbindung mit der Familie March würden alle Sanierungsmaßnahmen in naher Zukunft problemlos möglich sein. Linnley würde sich wie immer in alles

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