Im Schatten des Dämons
eine Honigsemmel.“
„Das ist aber das Mindeste.“
„Habt ihr bemerkt“, fragte Tim, als sie
fuhren, „wie nett Frau Bonzemann zu Gaby ist?“
„Mir gefällt auch die Bonzemann“, sagte
Klößchen. „Ist viel zu schade für ihren Alten.“
„Manchmal fragt man sich, wie die
Zweier-Beziehungen Zustandekommen“, nickte Tim. „Gleich und gleich gesellt sich
gern — das gilt nicht unbedingt für die Ehe.“
„Gegensätze ziehen sich an“, meinte
Klößchen. „Weil Bonzemann ein Halunke ist, hat er sich eine reine Seele gesucht.
Seine Frau singt vermutlich im Kirchenchor. Wie alle reinen Seelen. Daß sie
Piano spielt, wissen wir ja.“
Vor der Musikalien-Handlung stellten
sie ihre Tretmühlen an den Bordstein, wo noch immer braunes Regenwasser
gurgelte. Zigarettenkippen, Papierfetzen, Dreck, sogar ein paar Blechbüchsen —
das alles schwamm in Richtung Gully: mit einer Geschwindigkeit von etwa drei
Knoten (ca. 4800 Meter pro Stunde).
Klößchen bestaunte die
Schaufenster-Auslagen.
„Damit kann man ein ganzes Orchester
bewaffnen.“
„Wieso bewaffnen?“ fragte Karl.
„Musiker sind keine Soldaten.“
„Aber sie machen genauso viel Krach“,
erwiderte Klößchen. Sie traten ein.
Tim schnupperte. Es roch nach Tee.
Das mußte von hinten, aus dem Haus
kommen, denn hier standen weder Kanne noch Tasse.
Kathi und Robert Wihold kamen
gleichzeitig durch die PRIVAT-Tür.
„Ah, ihr seid’s“, seufzte Wihold mit
bleichem Gesicht. „Kommt nach hinten, es ist besser, wir reden dort.“
„Nanu“, stellte Tim fest, „die sehen
aus, als fände gleich ein Erdbeben statt.“ Panik hat die Wiholds im Griff. Ist
schon wieder was passiert?
Kathi schlang ihre Finger ineinander,
als wollte sie Blumen flechten.
Sie war noch nervöser als Robert, aber
auf eine andere Weise, wie Tim instinktiv aufnahm, ohne die Unterscheidung
genauer bestimmen zu können.
Im Flur hinten sprang Struppi aus
seinem Körbchen.
Tim nahm ihn auf den Arm und kraulte
den rosigen Dackelbauch, bevor er den Frechdachs weitergab an Karl, der gleich
ein Bussi auf die Brille erhielt.
„Es hat sich alles geändert“, japste Wihold.
„Ich verkaufe das Haus. Ist besser so.“
Tim hob die Brauen. „Das ist aber ein
rascher Sinneswandel. Tja, die Älche sind — wie wir meinen — nicht
verantwortlich für die zerstochenen Reifen. Hubert, der Tiger, wurde
handgreiflich aufgemischt, blieb aber in überzeugender Sturheit bei seiner
Aussage. Bonzemann habe zwar gestern den Auftrag zum Glasbruch erteilt, aber
später zurückgezogen.“
„Weil er was Wirksameres vorhat, der
Bonzemann“, nickte Wihold. „Er läßt mich umbringen.“
„Wir hören wohl nicht recht?“ rief Tim.
In diesem Moment ertönte draußen die
Glocke der Ladentür mit ihren kling-klang-pling-plong.
„Pssssst!“ zischte Wihold. „Ihr mischt
euch nicht ein. Ihr spielt nur mit Struppi, ja?“
„Nicht einmischen!“ bekräftigte Kathi und
entflocht ihre Finger, die nicht gerade wie Wiesenrispen-Gras im Sommerwind
zitterten, aber im Moment am besten fernblieben vom teuren Porzellan.
Wihold eilte in den Laden.
„Pst!“ gebot Kathi. Und setzte hinzu:
„Struppi macht gerade eine Wurmkur. Ihr dürft ihn nicht so schütteln.“
Klößchen war jetzt an der Reihe mit
Struppi und legte ihn sich wie einen Pelzkragen um den Hals.
„Ahhhh, der Herr?“ hörten sie Wiholds
Stimme.
Ein hartes Näseln antwortete: „Ich
vermisse meine Brieftasche. Sie ist weg. Aber sie war drin, als Ihre Frau meine
Jacke nahm.“
„Um den Teefleck auszureiben“, rief
Wihold. „Aber ja.“ Der arme Wihold! dachte Tim. Seine Stimme stirbt schon im
Hals. Als müsse er auf seiner eigenen Beerdigung einen Freudenjodler bringen —
was ja eine Zumutung wäre.
„Vielleicht“, rief Wihold, „ist die
Brieftasche rausgefallen. Bitte, kommen Sie mit. Wir suchen zusammen.“
Struppi war jetzt wieder bei Tim.
Wihold stolperte heran, gefolgt von
einem großen hageren Mann, der harte Knochenkonturen unter der lehmigen
Gesichtshaut hatte.
Ein Blick aus den Augenwinkeln streifte
die Jungs. Ein zweiter Blick haftete für einen Moment auf Kathis Gesicht, begleitet
von einem Nicken.
Dann riß Wihold die Tür zum Badezimmer
auf.
„Hier hat meine Frau Ihre Jacke
gereinigt und... Hahhhh, da unter der Schmutzwäsche-Truhe liegt was!“
Wihold hechtete darauf zu, bückte sich,
stieß mit dem Kopf an die Weidenkorb-Truhe, hob etwas auf.
„Eine Brieftasche“, verkündete er
begeistert.
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