Im Schatten des Drachen
herumzulaufen?“
„Ach, komm schon, hab’ dich nicht so“, Marc knuffte ihn übermütig in die Seite. Dann nahm er ihm zu seinem Entsetzen den Pin aus der Hand und griff nach seiner Hemdbrusttasche. Johannes hielt den Atem an, während Marc ihm mit etwas ungelenken Bewegungen den Regenbogenanstecker unterhalb des Knopfes befestigte und dann sacht festklopfte wie ein Kind seine Sandburg. Dabei erklärte er frech grinsend: „Ich würde es cool finden, wenn du ihn trägst, willst du? Für mich oder für dich, wie du magst. Vielleicht bringt er dir ja Glück.“
Voller Skepsis blickte Johannes an sich herab. Der bunte Regenbogen leuchtete ihn herausfordernd an. Er kam sich plötzlich nackt und ungeschützt vor mit diesem offenen Zeichen, das allen verriet, was eigentlich sein privatestes Geheimnis war - und das doch an diesem Abend alle Männer um ihn herum mit ihm teilten. Für heute Nacht also würde er sein, was er war. Weil Marc es so wollte. Doch danach, so schwor er sich, während er sich mit Marc in das Gewühl auf der Tanzfläche wagte, danach würde er sich das Ding niemals wieder an einen Pullover oder eine Jacke stecken. Er spürte, wie ihnen einige der jungen Männer um sie herum mit den Blicken folgten, und er fragte sich, ob die ihm oder seinem Begleiter galten. Im Gegensatz zu ihm versprühte Marc seinen Charme ungeniert und völlig hemmungslos, und für einen Moment stellte Johannes sich vor, wie es wäre, wenn einer der Typen wirklich mal auf seinen Kumpel zugehen würde. Unwillkürlich spannte er sich an, hätte am liebsten eine Hand auf Marcs Schulter gelegt, um allen unmissverständlich zu signalisieren, dass sie beide zusammengehörten. Doch das war nicht möglich, nicht hier und auch nicht draußen. Einer von ihnen trug immer eine Maske.
Zu Hause zog er seine Geldbörse hervor und befestigte den Pin im Innenfutter der Münztasche. Ohne Geld ging er nirgendwohin. Folglich nun auch nicht mehr ohne Marc. Das brachte bestimmt Glück. Nachdenklich blickte er auf die Brusttasche seines Hemdes hinab, spürte voller Verlegenheit noch einmal dem Druck der Hände des Freundes nach.
Schließlich hob ich meinen Kopf wieder und nickte, wagte jedoch nicht, in seine Augen zu sehen, aus Angst, darin das zu lesen, was ich in vielen anderen schon so unendlich oft gesehen hatte: Erschrecken, Unsicherheit, Peinlichkeit, Ablehnung. Alles tat gleich weh. Sein breiter irischer Dialekt drang an mein Ohr.
„Du hast ihn in den Hut geworfen. Ich dachte, du möchtest ihn vielleicht wieder haben.“
Damit bewegte sich die Hand auffordernd noch ein paar Zentimeter weiter auf mich zu, der Hemdsärmel rutschte zurück und gab den Blick frei auf ein schmales, regenbogenfarbenes Armband, das sich um sein Handgelenk schlang.
Hatte er das vorhin auch schon getragen? Ich konnte mich nicht erinnern. Dennoch machte sich in mir unendliche Erleichterung darüber breit, dass die Lage so schnell und so unkompliziert geklärt war. Behutsam nahm ich ihm den Anstecker aus der Hand.
„Ich habe ihn von einem Freund bekommen, er ist mir tatsächlich sehr wichtig. Danke.“
Zum ersten Mal, seit er so dicht neben mir saß, blickte ich ihm ins Gesicht.
Das markanteste darin waren seine blauen Augen, die mich aufmerksam anschauten. Vielleicht stachen sie deshalb so sehr aus dem ansonsten blass wirkenden Gesicht hervor, weil die Augenbrauen und Wimpern in ihrem Rotblond fast gar nicht zu erkennen waren. Die Nase war ein bisschen groß, der Mund dagegen schien wunderbar weich und sinnlich zu sein. Über das ganze Gesicht waren Sommersprossen verteilt, nicht zu viele, aber gerade genug, um einen Übergang von der hellen Haut zu dem roten Schopf zu bilden, der sich in wilden Locken um seine runde Stirn kräuselte. Ein echter Ire also, und einer von den gutaussehenden dazu. Ich lächelte.
„Na bitte“, atmete er auf, als er mein Lächeln sah und hob sein Glas, „geht doch! Ich dachte schon, du trägst eine Maske, so wie du den ganzen Abend über geschaut hast. Hat dir die Musik nicht gefallen?“
„Doch, ihr wart toll!“
Ich stieß mein Guinnessglas sacht gegen seines, während ich das sagte, obgleich ich mir nicht sicher war, ob er das auch hören wollte.
Tatsächlich erwiderte er mit einem etwas angewiderten Kopfschütteln: „Das sagen ungefähr neunzig Prozent unseres Publikums. Die restlichen zehn sind meist schon nach dem zweiten Lied gegangen. Aber ich will wissen, was du ... empfunden hast?“
Damit deutete
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