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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Vater, sondern nur mein Stiefvater.«
    »Aber du hast immer erzählt, dass er dich liebt wie eine Tochter!«
    »Gewiss. Aber das ändert nichts daran, dass ich das Kind eines Nichtsnutzes und Verbrechers bin, der mich aus lauter Bösartigkeit und Geldgier entführt hat und den meine eigene Mutter erschossen hat.« Ihre Stimme wurde immer lauter und schriller. Offenbar verschwendete sie keinen Gedanken mehr daran, dass man sie hören konnte. »Aber all das spielt in meinem neuen Leben keine Rolle mehr! Es darf keine Rolle mehr spielen! Ich will nicht, dass irgendjemand davon erfährt.«
    Victoria starrte sie an und fühlte plötzlich keine Wut mehr, nur Enttäuschung – und Resignation. »Wer man ist, kann man nicht einfach ablegen wie alte Kleidung«, sagte sie eisig. »Darf ich fragen, ob wenigstens dein Maltalent noch eine Rolle spielt?«
    Aurelia wandte sich ab. »Tiago … er wird nicht länger die Escuela de Bellas Artes besuchen. Er wird Jura studieren …«
    »Ich habe nicht nach Tiago gefragt, sondern nach dir.«
    »Nun, da er dieses Opfer bringt, werde ich es natürlich auch tun. Ich werde die Malerei aufgeben. Sie … sie hat mir zwar immer viel Freude bereitet, aber ich werde künftig so viele andere Pflichten haben. Und ich möchte Tiago nicht an sein altes Leben erinnern.«
    Wütend ging Victoria auf und ab; sie rammte die Fersen in den Boden. Kurz war der dumpfe Laut, der dabei ertönte, das einzige Geräusch. Valentina rief sie nicht wieder zur Räson, sondern schüttelte selbst missbilligend den Kopf. Pepe hatte sich an einem Keks verschluckt und unterdrückte ein Husten.
    »So ist es also«, murmelte Victoria schließlich düster, ohne noch länger ihren Blick zu suchen. »Du verleugnest nicht nur deine Familie, sondern alles, was du bist und was dich ausmacht. Du wirfst dein Talent weg – und das nur für einen Mann!«
    »Herrgott, ich liebe ihn!«
    »Man liebt immer nur als der, der man ist. Wenn man sich selbst verrät – wer bleibt dann übrig, der lieben könnte?«
    Aurelia ging an ihr vorbei, setzte sich wieder an den Tisch und schenkte Tee nach. »Es ist meine Entscheidung«, wiederholte sie ihre vorherigen Worte. »Nur meine. Tiago hat es nicht von mir verlangt – ich habe es aus freien Stücken so beschlossen.«
    Ehe Victoria etwas entgegnen konnte, klopfte es an der Tür, und eine Frau trat ein – dunkel gekleidet wie Valentina, aber viel schlanker und hoheitsvoller. Sie trug die schwarzen Haare zu einem kunstvollen Knoten aufgetürmt, und die Taille – wie Aurelia war sie in ein Mieder geschnürt – war schmal wie die eines jungen Mädchens. Nur das Gesicht wirkte alles andere als jung. Nicht dass sie viele Falten gehabt hätte – dazu hatte sie in ihrem Leben zu wenig gelacht. Doch die Augen glichen der einer Greisin, die sich von der Welt nichts mehr erwartet.
    Das musste Alicia Alvarados sein – Aurelias Schwiegermutter. Victoria versetzte es einen schmerzhaften Stich, als sie sah, dass Aurelia zusammenzuckte und in ihrem Blick Angst stand – Angst, dass Alicia etwas von ihrer Unterhaltung gehört hatte, oder Angst, dass Victoria etwas Falsches sagen würde.
    Ersteres war wohl nicht der Fall, denn Alicia grüßte sie alle mit einem höflichen Nicken. Und Victoria hatte Zweiteres nicht im Sinn.
    Niemand soll glauben, dass ich mich nicht benehmen kann, dachte sie stolz.
    Sie vollführte einen Knicks, senkte bescheiden den Blick und begrüßte mit ehrfurchtsvoller Stimme Doña Alicia.
    Alle sahen sie verwundert an, aber da fuhr sie schon fort: »Leider müssen wir jetzt gehen. Und leider können wir nicht Gast bei Aurelias Hochzeit sein.«
    Sie dachte daran, dass Rebeca sich von Aurelia Geld erhoffte, entschied aber, ihr lieber mehr vom eigenen Erbe zu geben. Sie würde Aurelia für lange Zeit nicht wiedersehen.
    Valentina brachte keinen Einwand hervor, sondern erhob sich. Pepe tat es ihr gleich, schob aber schnell noch einen Keks in den Mund, so dass es aussah, als würden seine Backen gleich platzen. Aurelia wiederum sah kurz so verzweifelt aus, als würde sie im nächsten Augenblick zu weinen beginnen. Aber dann erhob sie sich, um genauso ehrfurchtsvoll und steif wie Alicia Alvarados Victoria Lebewohl zu sagen.

    Die Heimfahrt verlief schweigend. Valentina machte mehrmals Anstalten, etwas zu sagen, aber Victoria setzte ein so abweisendes Gesicht auf, dass sie stumm blieb. Pepe kaute verwirrt an seinen letzten Keksen. Der Streit setzte ihm sichtlich zu, aber

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