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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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bemerkte, wie Juan Anstalten machte, zu widersprechen, aber stattdessen schwieg er und sank auf einen Stuhl. Rebeca kicherte, setzte sich schnell auf seinen Schoß und machte ihren Spott wett, indem sie ihn auf beide Wangen küsste, bis sie rot glühten.
    Victoria sah das nicht zum ersten Mal, aber noch nie hatte sie dieser Anblick so befremdet wie heute. Die vielen Stimmen, die nun wirr durcheinandergingen und deren Lallen verriet, dass die meisten Anwesenden betrunken waren, setzten ihr zu. Sie wollte fliehen, aber wohin? Nach Hause zu gehen war ebenso wenig verheißungsvoll wie hierzubleiben. Schließlich schlich sie unauffällig in das zweite Zimmer, in dem, wie sie wusste, Rebeca schlief. Es war so unordentlich wie das andere. Auf dem Boden lagen Kleidungsstücke, der Rauch von Zigaretten vermengte sich mit dem durchdringenden Geruch von Parfüms, die Rebeca manchmal trug. Sie ließ sich auf dem Bett nieder, zog die Knie an ihr Gesicht und fühlte sich unendlich verloren. Hoffentlich bemerkte Rebeca ihr Verschwinden und gesellte sich zu ihr, so dass sie allein mit ihr reden und ihr das Herz ausschütten konnte. Doch fast eine Stunde verging, da sie allein blieb. Ein jeder schien vergessen zu haben, dass sie hier war – bis sich plötzlich die Tür öffnete. Und es war nicht Rebeca, die im Rahmen stehen blieb, sondern … Jiacinto.
    Wie die anderen musste er getrunken haben, denn seine Augen waren leicht gerötet und seine Schritte wankend, als er auf das Bett zutrat.
    »Warum versteckst du dich denn hier, Mädchen?«
    Victoria blieb starr sitzen, aber insgeheim versetzte es ihr einen freudigen Stich, dass er gekommen war – und sie zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder mit ihm allein war.
    »Wir diskutieren gerade über Moral, ob es sie gibt, sie nur eine Illusion ist oder der Versuch, die Menschen für dumm zu verkaufen. Letzteres glaube ich. Du als Feministin siehst es vielleicht anders, und du hast einen scharfen Verstand.«
    Es war das Freundlichste, was er je zu ihr gesagt hatte, doch zu ihrem Erstaunen reagierte sie nicht mit überschwenglicher Freude … sondern mit Ärger. Sie wusste weder, woher er rührte, noch, wem er galt – vielleicht Aurelia, die ihre Herkunft verleugnete, vielleicht Rebeca, die sich im Grunde nicht darum scherte, wie es ihr ging, vielleicht Juan, weil er so selbstmitleidig war. Oder gar Jiacinto, der sie über Wochen missachtet hatte und nun so selbstverständlich mit ihr sprach, weil er eben gerade Lust dazu hatte.
    Ungewohnt scharf gab sie zurück: »Von Moral halte ich nicht viel. Aber ich denke doch, dass, will man etwas erreichen und die Welt verändern, an etwas glauben muss. Es reicht nicht, gegen alles zu sein wie ihr Anarchisten. Man muss auch wissen, wofür man kämpft – so wie wir Feministinnen es tun.«
    Er grinste. Entweder entging ihm der scharfe Tonfall, oder er fand gerade diesen lustig. »Sag ich ja, du bist ein kluges Mädchen. Das gefällt mir.«
    Kurz erwartete sie, er würde sich abwenden und wieder nach draußen gehen, doch stattdessen kam er näher und setzte sich zu ihr auf das schmuddelige Bett. Ein scharfer Geruch stieg ihr in die Nase, nach Schweiß, Dreck und etwas anderem, was sie nicht benennen konnte und was dennoch ein Kribbeln in ihrem Magen auslöste. Trotzdem rückte sie von ihm ab. »Ich gefalle dir aber nicht gut genug, dass du mich noch einmal küsst«, brach es aus ihr heraus, ebenso trotzig wie verletzt.
    Sein Grinsen verstärkte sich. »Soll ich etwa?«, fragte er. Er neigte sich spielerisch vor, überbrückte den Abstand zwischen ihnen und wollte ihr neckend durch die Haare fahren. Doch sie hob rüde die Hand, ballte sie zur Faust und stieß ihn zurück. »Du musst dich nicht gnädig dazu … herablassen.«
    Als hätte ihn ihr Schlag schmerzhaft getroffen, ließ er sich zurück aufs Bett fallen. Erst lachte er, dann starrte er stumm zur Decke. Sie war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er wirklich ihre Nähe gesucht oder einfach zu viel getrunken hatte und eine Weile liegen wollte.
    »Ach, Victoria …«, begann er, »kluge, steife Victoria … immer brav angezogen, immer pünktlich bei der Arbeit, immer schön frisiert … Wie sollte ich mich zu dir herablassen können, wenn du in Wahrheit doch so weit über mir stehst? Du wiederum kannst in der Gosse spielen, sooft du willst, du wirst niemals nach der Gosse riechen.«
    »So wie du?«
    »Ich bin nun mal ein Straßenköter … darin geübt, zu überleben, zu kläffen und

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