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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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würde sie die Wahrheit nicht verraten, aber sie würde nie vergessen und ihr immer nachtragen, dass Aurelia sie als Lügnerin beschimpft hatte.

15. Kapitel
    A ls die Droschke vor dem Haus vorfuhr, wandte sich Valentina streng an Victoria: »Du tust gut daran, ein etwas freundlicheres Gesicht aufzusetzen, Mädchen. Ich habe mich aufgerafft, unter Menschen zu gehen – da wirst du dich endlich überwinden können, dich mit Aurelia auszusöhnen.«
    Valentina betonte oft und gerne, dass sie die Menschen nicht besonders mochte, sie vorzugsweise mied und gern zurückgezogen lebte. Allerdings sah es gar nicht danach aus, dass sie ein Opfer brachte, als sie aus der Droschke stieg – im Gegenteil: Sie nahm das Haus der Familie Brown y Alvarados sehr neugierig und anerkennend in Augenschein. Auch Pepe, den Valentina aufgefordert hatte, mitzukommen, weil er sonst zu eigenbrötlerisch würde, konnte seine Neugierde nicht verbergen. Nur Victoria hielt ihren Blick starr auf den Boden gerichtet.
    Nun gut, ihr lag selbst daran, sich mit Aurelia auszusöhnen, doch William Brown stand für alles, was sie verachtete: zügellosen Kapitalismus, die Ausbeutung der Arbeiter, verlogene Wohltätigkeitsbasare und die Knechtung der Frauen, die man in Korsetts zwängte.
    Es war eine große Überwindung, das Haus zu betreten, und sie hegte insgeheim die Hoffnung, dass man sie abweisen würde. Zwar mochte Valentina Veliz nicht zu den gente decente gehören, aber immerhin war sie die Witwe eines Mannes, der es in der Armee zu hohem Ansehen gebracht hatte.
    Zunächst mussten sie eine Weile in der großen Halle warten, dann wurden sie eine breite Treppe hochgeleitet. Victoria hielt den Blick immer noch stur auf den Boden gerichtet und hob ihn erst, als sie Aurelias begeisterten Aufschrei hörte.
    »Valentina!«, rief sie. »Und Victoria! Und Pepe!«
    Eine ganze Heerschar an Dienstmädchen huschte um sie herum, und ihr schmaler Leib war von Unmengen hellem Stoff bedeckt, an dem viele Hände gleichzeitig herumzupften. Anscheinend hatten sie sie in dem Augenblick angetroffen, da ihr Hochzeitskleid angepasst werden sollte, und Victoria sah gleich wieder weg, um nicht den feinen Stoff betrachten zu müssen, weißer Satin offenbar, mit Spitze umkränzt und Perlen bestickt.
    Aurelia gab den Mädchen ein Zeichen, sie eine Weile allein zu lassen, legte das Kleid ab und schlüpfte hastig in einen Morgenmantel, während nun auch Pepe, wie Victoria aus den Augenwinkeln erkannte, schamvoll auf den Boden blickte.
    »Hübsch siehst du aus!«, rief Valentina als Einzige ganz ohne Scheu.
    »Ach, wir haben vorhin ausprobiert, welche Frisur ich tragen soll. Wir sind aber immer noch zu keiner Entscheidung gekommen, ob ich nun wächserne Orangenblüten ins Haar gesteckt bekomme oder einen Kranz aus Blumen und Aigretten – du weißt schon, das sind Ähren aus Silber.«
    Victoria knirschte mit den Zähnen, und prompt traf sie Valentinas mahnender Blick. Wieder und wieder hatte sie sie in den letzten Tagen beschworen, dass die Frauen zusammenhalten müssten, egal, ob reich oder arm, Mittel- oder Oberschicht, konservativ oder sozialistisch.
    Sie riss sich zusammen und wollte sich eben überwinden, Aurelia zu begrüßen, als diese schon auf sie zugelaufen kam. »Ich bin so froh, dass du da bist«, rief sie und fiel ihr um den Hals, ganz selbstverständlich und inniglich, als hätte es nie Streit gegeben.
    Victorias Körper versteifte sich zunächst, aber dann erwiderte sie die Umarmung, insgeheim viel erleichterter, als sie jemals zugegeben hätte. Als sie sich von ihr löste, betrachtete sie Aurelia eingehender. Der Morgenmantel war in einem hellen Roséton gehalten, ließ sie blass und so dünn und zerbrechlich wirken, als wäre sie aus Porzellan. Aber vielleicht, dachte Victoria bitter, kleideten sich die Frauen der Oberschicht mit Absicht auf diese Weise, auf dass nur ja niemand den Verdacht hegen könnte, es stecke zu viel Lebendigkeit in ihnen, die man ihnen noch nicht ausgetrieben hatte.
    Immerhin, als Aurelia fragte, was sie ihnen anbieten könne – Tee, Likör, Kekse –, klang ihre Stimme nicht leise und verzagt, sondern durchaus selbstbewusst.
    Victoria lag es auf den Lippen, alles abzulehnen, Pepe jedoch blickte auf und rief begeistert: »Also, ich würde von allem etwas nehmen!«
    »Dann wird euch eines der Mädchen in den Salon führen, und ich ziehe mich inzwischen an.«
    Das Kleid, mit dem sie wenig später den Salon im Erdgeschoss betrat, machte

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