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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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weniger Reichen mussten mit Aufenthalten in den USA vorliebnehmen.
    Aurelia genoss jene Zeit ungleich mehr als das Hochzeitsfest, doch wenn sie später daran zurückdachte, so blieb ihr auch davon vieles nur vage in Erinnerung. Das Einzige, was sie wusste, war, dass alles unglaublich teuer war, edel und bequem, so auch die Fahrt nach Valparaíso, wo sie sich nach England einschifften: Anstrengend und schweißtreibend war einst die Zugfahrt gewesen, die sie mit Victoria angetreten hatte, die Waggons unbequem, die Luft staubig. An Tiagos Seite fuhr sie hingegen in einem Sonderwagen der Bahn. Beim Einsteigen erwartete sie ein Angestellter in Uniform, der sie in ein eigenes Abteil brachte, dessen Sitze aus Samt und dessen Wände aus glänzendem Holz waren. Im Speisewagen nahmen sie eine Erfrischung zu sich und auf drehbaren Lehnsesseln Platz.
    Nicht weniger vornehm ging es auf dem Schiff zu, wo sie eine Suite mit drei Kabinen bezogen. »Ist es nicht großartig?«, fragte Tiago sie ein ums andere Mal, mit einem Tonfall in der Stimme, den sie nicht recht einzuschätzen vermochte und der ihr fremd war. In jedem Fall erwiderte sie sein Lächeln und sagte: »Ja, es ist großartig.«
    Einmal konnte sie ihre Gefühle nicht bezähmen. Auf dem Zwischenstopp in Punta Arenas gab sie einen Brief an die Eltern auf – zu einem Besuch blieb zu wenig Zeit –, wurde von Heimweh überwältigt und brach in Tränen aus. Was hätte sie gegeben, mit Tiago hierbleiben zu können, ob nur für ein paar Monate oder gar für immer, um ihm ihre wilde, weite Heimat zu zeigen, wieder zu malen, Farben aus Erde zu mischen …
    »Mein Gott, Aurelia, was hast du denn?«, fragte Tiago besorgt.
    Die Wahrheit lag ihr auf den Lippen, aber sie brachte es nicht über sich, sie auszusprechen. Ihre Heimat war jetzt der Platz an seiner Seite.
    »Es ist nichts«, sagte sie schnell und wischte sich die Tränen ab.
    Einige Wochen später liefen sie in Southampton ein, und von dort ging es weiter nach London, wo sie eine Weile bei Tiagos Verwandten väterlicherseits lebten. Später konnte sich Aurelia kaum an ein Gesicht und einen Namen erinnern, nur an endlos lange Gespräche auf Englisch, die sie nicht verstand. Tiago beherrschte die Sprache seines Vaters nahezu fließend und versuchte stets zu übersetzen, doch die Inhalte der Gespräche waren so langweilig, dass Aurelia gut und gerne darauf verzichten konnte. Während sie lächelnd beim Tee saßen, musste sie oft an Alicias Worte denken, wonach diese nie auch nur ein Wort Englisch gelernt hatte.
    Das Wetter war nass und kalt, und wenn sie nicht gerade Zeit mit den fremden Verwandten verbrachten, lagen sie stundenlang im Bett. Zwar hatte man ihnen auch hier zwei Schlafzimmer zugewiesen, doch niemand scherte sich darum, dass sie in einem schliefen, sich langsam und zärtlich liebten und stundenlang zusammengekuschelt beieinanderlagen. Sie sprachen kaum miteinander, aber die körperliche Nähe entschädigte für die Unfähigkeit, die eigenen Gedanken und Gefühle in Worte zu pressen.
    Vom Londoner Nebel ging es für einen Monat an die Riviera, wo sie gemeinsam aufs Meer starrten und die Ahnung von Freiheit genossen, die diese weiß glitzernde oder türkis schimmernde Weite verhieß. Die letzte Station ihrer Reise war Paris. Tagsüber gingen sie in Parks spazieren, ob im Luxembourg, in den Tuileriengärten oder Versailles, abends besuchten sie die Oper oder das Ballett. Der Höhepunkt war ohne Zweifel die Aufführung vom Ballet Russe des Impresarios Sergej Diaghilew mit dem Startänzer Waslaw Nijinski. Hingerissen starrte Aurelia auf die farbenprächtigen, orientalisch anmutenden Kostüme, die der berühmte Schneider Paul Poiret entworfen hatte. Ein nicht minder wohltuender Rausch für die Augen war der spätere Besuch im Louvre. Aurelia lief von Raum zu Raum, prägte sich alles ein, ging danach, als sie in einem Kaffeehaus saßen, wieder und wieder sämtliche Bilder durch, die sie beeindruckt hatten. Ihr Gesicht rötete sich, sie sprach so glühend und leidenschaftlich wie seit Wochen nicht. Die Worte perlten förmlich über ihre Lippen.
    »Morgen gehen wir wieder hin, ja?«, fragte sie am Ende.
    Da erst ging ihr auf, dass Tiago kaum etwas gesagt hatte.
    »Willst du mich quälen?«, brach es aus ihm hervor.
    Noch nie hatte er so harsch zu ihr gesprochen, und Aurelia fühlte blankes Entsetzen. Er entschuldigte sich sogleich für die heftigen Worte, der Ausdruck seines Gesichts aber blieb verzweifelt, und sie

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