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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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über das Paktieren der Parteien, über die unterschiedlichen Koalitionen, die allesamt das Land nicht weiterbrachten, über die schrecklichen Arbeitsbedingungen.
    Seine Worte erreichten sie nicht. Sie lag ganz still da, musste plötzlich an Aurelia denken, und die Wut und Verbitterung, die sie vorhin bei ihrem Anblick überkommen hatten, blieben aus. Sie fragte sich nur, was sie fühlte, wenn Tiago sie liebte, ob er wilder oder zärtlicher als Jiacinto war, ob steifer oder lustvoller, ob vorsichtiger oder gieriger.
    Sie würde sie nicht fragen können. Ihre Wege hatten sich getrennt, vielleicht für immer, auf jeden Fall für lange Zeit.

16. Kapitel
    I hre kirchliche Hochzeit war ein rauschendes Fest, viele Gäste bezeichneten es sogar als unvergesslich, doch für Aurelia ging es vorbei wie ein Traum. Unwirklich erschien ihr alles, und ihre Erinnerungen glichen später vielen kleinen Blitzlichtern, die zusammengenommen keinen Sinn ergaben. Es war, als hätte sie an diesem Tag nicht auf festem Boden gestanden, sondern wäre durch ein Märchenland geschwebt, das aus Glitzer, Gold und Silber bestand, aus so vielen Farben, so viel Luxus, so vielen edlen Speisen. All das schien der eigentliche Mittelpunkt zu sein, während Tiago und sie nichts weiter waren als Statisten, die ihr eigenes Leben wie das von Fremden bestaunten und die längst nicht mehr die Freiheit besaßen, ihren nächsten Schritt zu bestimmen.
    Das Fest wurde für sie gegeben, aber es war zu keinem Augenblick ihr Fest, und während alles andere im Überfluss da war, fehlte Aurelia schmerzlich eine Sache: die Gewissheit, dass dies der glücklichste Tag in ihrem Leben war.
    Er hätte es nur sein können, hätte sie das Glück mit jeder Faser ihres Körpers gefühlt, doch es schien ja nicht sie zu sein, die heiratete – für eine wie sie war das Hochzeitskleid viel zu teuer, die Frisur viel zu aufwendig, die Speisen viel zu erlesen.
    Alicia und William behaupteten, dass die Trauer um Guillermo ihnen bei der Planung des Festes eine gewisse Zurückhaltung auferlegt hätte, doch Aurelia bezweifelte, dass man beim Festessen überhaupt noch mehr und Köstlicheres hätte servieren können. Es gab baltischen Kaviar und norwegischen Lachs, gefüllten Truthahn und glacierte Ferkel, Langusten und Austern, Königsfisch und Meeraal, Ringel- und Turteltaube. Champagner von Gubler und Cousiño floss in Strömen, und drei Konditoreien arbeiteten zusammen, um die Unmengen an Desserts herzustellen: Zitronen-, Mandel- und Nusstorten, Schokolade- und Eierschneetorten, Windbeutel, Eclairs und Sandkuchen, Erdbeermousse und Ananaseis.
    Hinterher wusste Aurelia nicht mehr, ob sie überhaupt etwas davon gegessen hatte oder sich mit dem Champagner begnügt hatte. Letzterer stieg ihr heiß ins Gesicht und gab ihr, während sie die Zeremonie und das Festmahl zunächst mit gesenktem Blick über sich hatte ergehen lassen, den Mut, die vielen Gäste zu mustern. Fast alle waren ihr fremd, die Blicke, die sie trafen, abschätzend, das Lächeln der Damen nur vordergründig freundlich. Doch zwischen ihr und dem Rest der Welt war eine gläserne Wand, durch die sie alles sehen konnte, aber nichts fühlen musste. Nach dem ersten Glas Champagner vergaß sie, sich vor William zu fürchten oder sich nach Victoria und ihren Eltern zu sehnen. In jenem Labyrinth eines fremden Lebens hätten sich jene ohnehin nur verirrt. Dass sie selbst es nicht tat, lag nicht daran, dass sie den richtigen Weg wusste, sondern daran, dass sie still dastand und somit nicht in Sackgassen landete. Sie wagte kaum zu atmen aus Angst, sie dürfte dann nicht mehr federleicht über diese Szenerie hinwegschweben, sondern müsste die Last der Verantwortung, die sie ab jetzt trug, voll und ganz spüren – der Verantwortung, Tiago und vor allem seine Eltern nicht zu beschämen.
    Immerhin: Sie schien es gut zu machen, denn Tiago nahm dann und wann ihre Hand und drückte sie, und sie fühlte sich davon gestärkt, auch wenn sie nicht sicher war, ob er ihr tatsächlich Halt geben oder sich vielmehr selbst an ihr festhalten wollte.
    Am nächsten Tag brachen sie zur Hochzeitsreise auf. William hätte es eigentlich lieber gesehen, dass Tiago sofort sein Jurastudium aufnahm und in seine künftigen Pflichten eingewiesen wurde, doch um seinen gesellschaftlichen Status unter Beweis zu stellen, war es unverzichtbar, das junge Paar mehrere Monate nach Europa reisen zu lassen, wo die Oberschicht ihre Flitterwochen verbrachte – die

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