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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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die Besitzer dieses Salons sprachen wild durcheinander, erst voller Wut, dann – als nunmehr auch grollende Männerstimmen ertönten – furchtsam. Victoria glaubte zu hören, wie eine der Frauen nach der Polizei rief, und auch Jiacintos Stimme, als er antwortete, dass sie das vergessen könnte. Kurz war es daraufhin still, dann ging das Geschrei erst recht los. Es musste früher als erwartet zur Eskalation gekommen sein.
    Rebeca packte sie am Arm und zog sie auf den großen Raum zu, in dem die Nähmaschinen standen. Kurz widersetzte sich Victoria ihr, kämpfte erneut mit dem Drang, zu fliehen. Allerdings – würde sie unten überhaupt noch an den Männern vorbeikommen oder nicht vielmehr für eine Näherin gehalten werden, der man zu gehen verweigerte?
    Sie verdrängte das Unbehagen, betrat den Raum, der so niedrig war, wie sie es sich gedacht hatte – und hielt im nächsten Augenblick den Atem an. Neben dem großen Nähraum befand sich ein etwas kleineres Zimmer, das für die Anprobe gedacht war. Es war etwas luftiger, lichter, Modellpuppen standen dort, Maßbänder, Stoffballen und halb fertige Kleider lagen auf Stühlen und Tischen. All das sah Victoria kaum – sie sah nur die Frauen, die sich dort ängstlich zusammendrängten, offenbar Kundinnen, die vom Erscheinen so vieler roher Männer wie Jiacinto zutiefst verängstigt wirkten.
    Und unter diesen Kundinnen befand sich, nicht minder verwirrt und ängstlich, aber obendrein hochschwanger – Aurelia.

18. Kapitel
    E inen Augenblick starrte sie Aurelia einfach nur an. In all den Monaten, da sie sich nicht gesehen hatten, hatte sie sich deutlich verändert – nicht nur, was den gewachsenen Leibesumfang anbelangte. Ihre Haut schien blasser, fast durchsichtig, ihr Haar glänzte, ihre Augen wirkten riesengroß – nicht zuletzt wegen der Furcht, die darin stand.
    Was, zum Teufel, machte sie hier?
    Verspätet bemerkte Victoria, dass eine Frau an ihrer Seite war, etwas älter, sehr hochmütig, die Miene zu ausdruckslos, um Aurelias Furcht zu spiegeln. Sie erkannte Alicia Alvarados wieder, die sie schon einmal gesehen hatte, Aurelias Schwiegermutter.
    »Victoria«, stammelte Aurelia verwirrt, »was … was geht hier vor?«
    Eben noch war Victoria über Aurelias Anwesenheit vor allem erschrocken gewesen – nun kam Ärger dazu, gleich so, als würde die andere sie mit Absicht an ihren Plänen hindern wollen. Gewiss, gerade waren es noch allein Jiacintos Pläne gewesen, und sie hatte selbst an der Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens gezweifelt. Doch diesen Zweifel wollte sie sich nun nicht anmerken lassen.
    »Was hier vorgeht?«, gab sie schnippisch zurück. »Wir sorgen für ein wenig Gerechtigkeit. Menschen wie euresgleichen sollen ruhig mal sehen, wie viele andere buckeln und schuften müssen, damit ihr angenehm leben könnt.«
    Die letzten Worte gingen im Lärm unter. Männer brüllten hinter ihnen, Frauen reagierten mit angstvollen Schreien. Offenbar stürmten immer mehr Arbeiter vom Hof hoch und erschreckten die Schneiderinnen, indem sie Stoffballen und Nähmaschinen umstießen.
    Aurelia wich voller Furcht zurück, doch als Rebeca Victorias Hand erfasste und sie fortziehen wollte, machte sie plötzlich einen Schritt auf sie zu und ergriff ihrerseits ihren Arm. »Victoria … bitte! Bring mich hier raus! Du siehst doch, ich bin guter Hoffnung.«
    Victoria musterte sie genauer. Obwohl Aurelia versucht hatte, den Leibesumfang mit einem engen Brustleibchen und einer Fülle an feinen Stoffen – über einem bodenlangen, schleppenden Rock trug sie eine knielange Tunika aus Seidenduchesse – zu verbergen, war unverkennbar, dass ihre Schwangerschaft schon weit fortgeschritten war. Schützend hielt sie sich den schweren Bauch, und Victoria nahm bestürzt wahr, wie sich ihr schweißnasses Gesicht verzerrte, als litte sie unter Schmerzen.
    »Was, zum Teufel, hast du dann hier verloren?«, zischte sie. »Ich dachte, Damen deines Ranges verstecken sich vor der Öffentlichkeit, sobald sie ein Kind erwarten!«
    »Wir brauchen doch Kleidung … für das Kleine … Ich konnte doch nicht ahnen …«
    Unwirsch riss Victoria sich von ihr los. »So ist es – du ahnst nie etwas! Stellst dich immer unwissend! Es ist ja auch so leicht, sich der Welt gegenüber blind zu stellen und alles zu leugnen, was man nicht sehen will. Du bist ja sehr geübt im Totschweigen, nicht wahr? Hast längst verlernt, zu bekennen, wer du bist, von wem du abstammst, was du

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