Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
Vom Netzwerk:
Frau, und als sie sich an Pablo Burchard wandte, weil sie Kunst studieren wollte, hat er sofort ihr Talent erkannt und sie aufgenommen. Im Übrigen …« Victoria zögerte kurz, weil sie nicht sicher war, ob sie ihre Pläne verraten sollte, fuhr dann jedoch entschlossen fort: »Im Übrigen kannst du mich gerne nach Santiago begleiten.«
    Aurelia blickte sie entsetzt an. »Dich begleiten? Nach Santiago? Ach, ich … wir … wir sollten doch nach Patagonien gehen. Meine Eltern wünschen sich das so.«
    Victoria machte eine unwirsche Handbewegung. »Jemand wie ich passt dort gewiss nicht hin.«
    »Jemand wie du?«
    Wieder zögerte Victoria, sich ihr anzuvertrauen, aber dann überwog nach all den Wochen, da sie Ludwigs und Elviras langweiliger Gesellschaft ausgeliefert war, das Bedürfnis, mit jemandem über ihre Pläne zu reden. »Ich bin Feministin«, erklärte sie stolz.
    Aurelias eben noch erschrockener Blick wurde verwirrt. »Was ist denn das?«, fragte sie.
    Victoria verdrehte abermals die Augen. Sie wandte sich leicht von ihr ab, ehe sie zu dozieren begann: »Das ist ein Begriff, der aus Frankreich kommt. Alle Frauen bezeichnen sich so, die überzeugt sind, dass unser Geschlecht die gleichen intellektuellen Fähigkeiten wie die Männer hat, überdies das Recht und die Fähigkeit, am öffentlichen Leben und in der Politik teilzunehmen, und nicht zuletzt das Recht und die Fähigkeit, einen Beruf auszuüben und damit Geld zu verdienen.«
    Sie wandte sich Aurelia wieder zu. In deren Gesicht zeichnete sich nicht sonderlich viel Verständnis ab. »Und was hat das damit zu tun, dass du mich nicht nach Patagonien begleiten willst?«, fragte sie skeptisch.
    Victoria ballte ungeduldig ihre Hände zu Fäusten. »Nun, ich will einen Beruf erlernen und eigenes Geld verdienen. Hier in Valparaíso bin ich von Elvira und Ludwig abhängig, in Patagonien wäre ich es wiederum von deinen Eltern. Aber ich will auf eigenen Füßen stehen – und das werde ich. Nämlich in Santiago. Also – kommst du mit?«
    Speicheltröpfchen sprühten von ihrem Mund, so eindringlich und hitzig redete sie auf Aurelia ein. Diese war zwar unwillkürlich zurückgewichen, aber Victoria entging das Funkeln in ihren Augen nicht. Der Gedanke an Santiago schien sie ein wenig zu beängstigen … aber noch mehr zu faszinieren.
    Vielleicht kann man doch etwas aus ihr machen, dachte sie.
    »Das klingt ziemlich verrückt!«, stieß Aurelia schließlich aus.
    »Wenn du meinst«, sagte Victoria gedehnt.
    »Welchen Beruf willst du denn überhaupt erlernen?«
    »Irgendeinen, bei dem ich mich für arme Menschen einsetzen und gegen die vielen Missstände unserer Gesellschaft kämpfen kann. Ich bin nämlich Sozialistin.«
    »Ich dachte, du wärst Feministin? «
    Victoria seufzte. »Das eine schließt das andere doch nicht aus! In einer gerechten Gesellschaft wird das Vermögen zwischen Arm und Reich besser verteilt, aber auch die Rechte und Pflichten zwischen den Geschlechtern, und …«
    Victoria spürte, wie Aurelias Gedanken abschweiften. »Ich sehe schon«, stellte sie grimmig fest, »davon hast du keine Ahnung. Aber immerhin bist du gut im Malen. Und könntest besser werden, wenn du dein Leben nicht bei den Schafen in der Pampa verbringst.«
    Aurelia senkte ihren Blick, weswegen Victoria sich diesmal nicht sicher war, ob er begeistert funkelte oder gekränkt war. Ehe sie noch etwas hinzufügen konnte, hörte man das Knarren der Eichendielen.
    »Victoria?«, ertönte Elviras kreischende Stimme. »Bist du da?«
    Victoria trat hastig von der Tür weg und sah sich nach einem geeigneten Versteck um. »Kannst du sie irgendwie anlügen?«, zischte sie panisch. »Ich ertrage diese Frau heute nicht mehr.«
    Aurelia hob ihren Blick. Nicht länger standen Skepsis oder Begeisterung darin, nur gleicher Triumph wie vorhin, als Victoria schon einmal ihrer Dienste bedurft hatte. »Aber natürlich helfe ich dir!«, erklärte sie und setzte dann jenes Lächeln auf, mit dem sie wohl vorhin im Krankenhaus den Arzt für sich gewonnen hatte.

    Aurelia war todmüde, aber sie konnte trotzdem nicht schlafen. Zu viel war heute geschehen, was ihr nun durch den Kopf ging, die Begegnung mit Tiago, das Wiedersehen mit Victoria … Ob diese wohl auch noch wach im Bett lag?
    Aurelia hatte keine Ahnung, wie es in ihr aussah. Sie hatte erwartet, sie in tiefer Trauer vorzufinden, doch sie sprach von ihren Eltern genauso nüchtern wie von allem anderen. Als Aurelia sie vorhin gefragt hatte,

Weitere Kostenlose Bücher