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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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begehrte. »Sie liebt nun einmal mich. Nicht dich.«
    Schweigend starrten sie sich eine Weile an, keiner wollte als Erstes den Blick senken. Schließlich tat es Andrés, doch die Worte, die er sagte, verrieten, dass er nicht nachgab. »Weiß Aurelia eigentlich, dass du insgeheim ganz froh bist, dass ihr beide nicht mehr malt?«
    »Was redest du da?«
    »So ist es doch«, kam es verschlagen, »du konntest nicht so gut malen wie sie. Sie war eindeutig die Bessere, auch wenn sie sich bescheiden gab und zu dir als ihrem vermeintlichen Lehrer hochblickte. Hast du nicht äußerst gerne gesehen, dass sie die Malerei aufgab – weil du insgeheim neidisch auf ihr Talent warst?«
    »Du bist verrückt!« Tiago hob abwehrend beide Hände. »Nein, erbärmlich bist du, denn dein Neid vergällt dir dein Leben. Und jetzt willst du mir denselben Neid einreden!«
    »Du hast sie mit Reichtum erstickt, und mir wirfst du vor, erbärmlich zu sein?«
    »Ich liebe Aurelia!«
    »Du behandelst sie so, wie dein Vater dich behandelt – sie bekommt alles, was sie will, doch sie kann nicht tun, was sie will. Aber du weißt so gut wie ich: Das Tun macht glücklicher als jeder Besitz. Ich hätte das nie zugelassen. Für mich wäre Aurelia meine Königin gewesen!«
    Tiago spürte keine Hitze mehr, keine Kopfschmerzen, keine Erschöpfung. Er fühlte nur Wut, die ihn ganz und gar auffraß. Andrés’ Worte hätte er vielleicht verkraftet und auch die Ahnung, dass er die Wahrheit sagte – aber dieses Lächeln, das nun auf seinen Lippen erschien, dieses höhnische, dreiste, selbstgerechte Lächeln war zu viel.
    Anstatt die Hände, die er erhoben hatte, wieder zu senken, schlug er damit auf Andrés’ Brust ein. Der wich zurück, stolperte, fiel jedoch nicht hin. Als Tiago ein zweites Mal die Fäuste heben wollte, wich er ihm aus.
    »Das ist alles, was dir dazu einfällt?«, höhnte er. »Willst du mich wieder einmal schlagen? Nur zu! Diesmal, das schwöre ich dir, schlage ich zurück!«
    Ihre raschen Schritte hatten Staub aufgewirbelt. Tiago fühlte, wie er in Nase und Mund drang, wie seine Augen tränten. Die Welt schien hinter dem gelben Schleier zu versinken, nur seine Wut war klar und deutlich. Wieder schlug er Andrés, und diesmal traf er warme Haut. Der Schmerzensschrei, der ertönte, ließ ihn lächeln, doch der Triumph währte nicht lange. Nun war es erst mal der andere, der angriff – und ihn am Kinn traf.
    Tiago schmeckte nicht mehr nur Staub, sondern Blut, und der Schleier, der die Welt verbarg, war nicht länger gelb, sondern rot. Von nun an zählte er die Schläge nicht mehr – weder die, die er verteilte, noch die, die er einsteckte. Es war ein Genuss, sich zu prügeln – und irgendwie auch ein Genuss, geprügelt zu werden. So schlicht, so erträglich war der körperliche Schmerz, gemessen an dem der Seele. Wind kam auf, wehte noch mehr Sand in ihre Gesichter. Die Welt schien auf dieses stickige, trockene Plätzchen zu schrumpfen, und in dieser Welt gab es nichts als die dumpfen Schläge, die matten Schreie, das eigene Herzklopfen, den Willen, zu siegen.
    Und dann gab es plötzlich diesen Stein. Er fühlte ihn spitz unter seinen Fußsohlen, merkte, wie er den festen Stand verlor, hob die Hände, um sein Gleichgewicht wiederzufinden, und wurde genau in diesem Augenblick von Andrés getroffen. Er wankte, fiel, und plötzlich war da ein zweiter Stein, der sich in seinen Hinterkopf bohrte.
    Die gelbe Staubwolke lichtete sich. Er sah Andrés’ Gesicht über seines gebeugt, geschunden zwar, aber nicht länger wütend, sondern erschrocken. Warum ist er plötzlich entsetzt?, fragte sich Tiago erstaunt.
    Verspätet zerplatzte der Schmerz in seinem Hinterkopf. Er war so grell wie die Wüstensonne, jedoch nicht ausdauernd wie diese. Schon zerfiel er in viele kleine Funken, und jene Funken wurden von Schwärze geschluckt, endgültiger, absoluter Schwärze, wie er sie noch nie erlebt hatte.

    »Tiago? Tiago, so sag doch etwas!«
    Andrés hatte keine Ahnung, wie lange er nun schon auf den reglosen Freund einredete. Schweiß tropfte ihm von der Stirn, lief ihm in die Augen und brannte dort. Eben noch war seine Wut so stark gewesen, so gewaltig und absolut. Nun schmolz sie in der sengenden Hitze wie ein Würfel aus Eis, und bald war nichts anderes mehr davon übrig als blankes Entsetzen. Trotz seiner vielen beschwörenden Worte, trotz des zaghaften Rüttelns an seiner Schulter – Tiago rührte sich nicht mehr. Ängstlich tastete Andrés nach

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