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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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würde. Das Leben hier ist einfach zu hart.«
    Victoria lächelte. »Aber ich teile dieses Leben doch schon längst mit dir«, stellte sie fest, »und es ist mir mitnichten zu hart.«
    Ehe er etwas erwidern konnte, beugte sie sich vor und küsste ihn auf den Mund. Es war etwas ganz anderes, ihn zu küssen, als Jacob oder Jiacinto. Bei ihnen beiden hatte sie stets vermeint, sich diese Nähe ertrotzen und erkämpfen zu müssen. Die fiebrige Erregung, die ihr geschenkt wurde, forderte als Preis stets die Furcht, gleich zurückgestoßen zu werden. Bei Salvador war es viel selbstverständlicher, die Nähe und die Vertrautheit viel größer, obwohl seine Lippen hart waren und sein Schnurrbart kitzelte.
    Er erwiderte den Kuss, sehr vorsichtig, sehr zärtlich, doch nach einer Weile drückte er sie weg und erhob sich. Immer noch lag sein Gesicht im Dunkeln, aber der Hitze nach zu schließen, die in seine Wangen geschossen war, war er tiefrot.
    »Stürz dich nicht ins Unglück, Mädchen!«, murrte er, und es klang streng. »Es ist nicht nur mein Alter, das harte Leben, es ist …«
    »Was?«
    »Du siehst doch, dass ich hinke. Und du weißt sicher noch, was ich dir erzählt habe: Irgendwo in meinem Leib steckt eine Kugel, die nie entfernt werden konnte und die mich langsam vergiftet. Ich werde nicht alt werden. Ich werde dich nicht lange genug glücklich machen können.«
    Sprach’s, wandte sich endgültig ab und ging ins Haus.
    Victoria blieb nachdenklich sitzen. Kurz hatten sie seine Worte wie ein Schlag getroffen.
    Nicht alt … nicht lange genug  …
    Aber während sie in die Nacht starrte und die gewaltige Stille der Wüste mit jeder Faser ihres Körpers zu spüren glaubte, überkam sie plötzlich tiefer Frieden. Sie war mit Salvador glücklich, sie fühlte sich hier geborgen. Warum sollte sie auf ihn verzichten, nur weil sie ihn nicht lange haben konnte? Sie hatte Menschen verloren, obwohl diese nicht gestorben waren. Wie viel besser war es, jemanden nicht zu verlieren, obwohl er starb.
    Entschlossen stand sie auf, ging hinein und trat zu seiner Pritsche, auf die er sich gebettet hatte.
    Sie setzte sich zu ihm wie vorhin noch zu Clara, streichelte über sein Gesicht, fuhr die Falten und Furchen nach. Er zuckte zusammen.
    »Was tust du denn da?«, fragte er, aber es klang nicht mehr grimmig – eher hilflos.
    »Schscht«, machte Victoria. Sie blickte sich um, die Mädchen schliefen tief. »Du sagst doch immer, dass du Menschen magst, die mit ihren Händen sprechen, nicht mit ihrem Mund. So lass mich mit meinen Händen sprechen.«
    Sie streichelte weiterhin sein Gesicht, legte sich schließlich zu ihm, übersäte seine Haut mit Küssen. Die Zeichen von Alter, von Anstrengung, von Verbrauchtsein machten ihr nichts aus. So wie sie ihn mit all seinen Falten liebte – so akzeptierte er sie mit sämtlichen Narben auf ihrer Seele.
    Zuerst lag er wie starr, dann widersetzte er sich nicht länger. Mit einem Ruck stützte er sich auf, betrachtete sie kurz, zog sie dann an sich, nicht langsam, zaudernd, sondern mit gleicher Entschlossenheit und Zielstrebigkeit, wie er seine Arbeit als Arzt tat.
    Was folgte, war kein verschämter, hastiger Akt wie einst, da sie zum ersten Mal bei Jiacinto gelegen hatte. Zärtlich und leidenschaftlich zugleich, vor allem aber unendlich geduldig erforschten sie ihre Körper.
    Victoria sagte in dieser Nacht kein weiteres Wort mehr, aber jede Geste, jede Bewegung verkündete: Ich bin jetzt Salvadors Frau. Ich bin Claras und Doras Mutter.

    Punta Arenas hatte sich verändert – oder vielleicht hatte Aurelia es bloß anders in Erinnerung gehabt: Der Hafen schien ihr, gemessen am Trubel Valparaísos oder Santiagos, nicht ganz so lebhaft. Man sah mehr Schafe als Menschen, die Innenstadt war um etliche Prachtbauten erweitert worden – nebst Villen der reichen britischen Estancieros war auch eine neue Oper hinzugekommen, der Friedhof erneuert worden und die Fassaden am Hauptplatz.
    Aurelias Herberge, in der sie sich mit Tino einmietete, befand sich direkt gegenüber der Oper, und während Tino von der Fahrt erschöpft schlief, starrte sie darauf und dachte an die Vergangenheit – die ihrer Vorfahren und die eigene. Hier in Punta Arenas hatten Victorias Mutter Emilia und ihre eigene Mutter Rita einst eine Herberge geführt. Sie war im Jahr ihrer Geburt abgebrannt, und Rita war damals fast gestorben. Rauh und hart war das Leben zu den beiden Frauen gewesen – während ihr so vieles zugefallen war,

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