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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Luft so klar, dass man die Ausläufer der Kordilleren sehen konnte, und der Boden noch feucht vom Regen der letzten Nacht war. Nach einer halben Stunde erreichten sie die nächste größere Siedlung, wo Balthasar eine Gemischtwarenhandlung gegründet hatte, in der es alles gab, was in der Pampa selten war, aber jeder gut gebrauchen konnte: ob Kämme, Bartpomaden und Kerzen, Schnürsenkel und Gürtel, Abführmittel und Dynamitpatronen. Außerdem gab es diverse Lebensmittel – Säcke mit Mais und Linsen, Zucker, Mehl und Reis, Polenta oder dem Yerbakraut, aus dem der Matetee gebraut wurde. Außerdem wurden Tortas angeboten, ein Gebäck aus Polenta, wie es die Indianer machten und die – nach Marils Anweisungen – von Ana hergestellt wurden, außerdem Galletas, zementharte Brotbrocken, die als Reiseproviant dienten und die man im warmen Wasser oder mit viel Speichel auflösen konnte.
    Es kam nicht besonders viel Kundschaft in den Laden – am Vormittag nur zwei Männer, am Nachmittag einige Frauen.
    »Die Flut an Einwanderern, die es einst nach Patagonien gezogen hat, hat längst nachgelassen, nicht wahr?«, fragte Victoria.
    Balthasar nickte. »Bis vor wenigen Jahren zog es Tausende von jungen Männern hierher, um Gold zu finden, aber die Minen waren nicht ergiebig genug, um alle zu halten. Und während des großen Krieges kamen zwar Flüchtlinge aus Europa, aber ebenso viele Kaufleute, Schafzüchter oder Reeder verließen Patagonien, weil ihre Geschäfte nicht mehr genügend einbrachten.«
    Victoria fragte sich, ob die Rezession auch die Estancia betraf, wollte aber nicht in Wunden stochern und sprach erst am Abend, als sie alle gemeinsam um den Tisch saßen, Rita vorsichtig darauf an, ob es sich überhaupt lohnte, diesen Laden zu führen.
    »Wir müssen jede Form des Geldverdienens nutzen, die uns bleibt. Mit Schafwolle allein bekomme ich all die hungrigen Mäuler nicht satt«, antwortete diese und deutete auf die Jungs, die nach einem langen Tag hungrig aßen. »Chile ist im Krieg zwar neutral geblieben, aber viele Häfen waren blockiert, und die Wolle und das Fleisch verrotteten in den Lagern, anstatt England zu erreichen. Und kaum war der Krieg vorbei …« Sie zuckte die Schultern.
    »… traf uns der Bau des Panamakanals«, fuhr Balthasar an ihrer statt fort. »In Patagonien war es schon immer einsam. Aber jetzt ist es der einsamste Ort der Welt.«
    Victoria wusste, dass der Bau dieses Kanals seit vielen Jahren geplant gewesen war. Das kolumbianische Parlament hatte sich geweigert, den USA die Konzession dafür zu erteilen, woraufhin sich Panama von Kolumbien abgespaltet hatte, damit die Pläne doch realisiert werden konnten. 1914 war der Kanal fertiggestellt, die Reisen von der Alten in die Neue Welt deutlich vereinfacht, aber auch das Ende von Punta Arenas, wie es einmal gewesen war, eine lebhafte, reiche Stadt, eingeläutet.
    »Man muss eben erfindungsreich sein«, meinte Rita. »Vor kurzem haben wir ein Versandgeschäft deutscher Dauerwurst aus Schaffleisch ins Leben gerufen – in England ist sie heiß begehrt, man hat dort offenbar vergessen, dass man den Deutschen kürzlich noch am liebsten den Schädel eingeschlagen hätte.«
    »Tja, man muss hier aus allem einen Vorteil ziehen«, meinte Balthasar, »und sei es der eigene Name. Meiner ist nun mal ein deutscher, auch wenn ich es mir nie hätte träumen lassen, ihn jemals auf einer Wurst zu lesen.«
    »Und ein Gutes hat der wirtschaftliche Niedergang«, fügte Rita grimmig hinzu, »so werden die Braun-Menéndez’ ein wenig zurechtgestutzt.«
    Durch einstige Heirat waren diese beiden Einwandererfamilien eng verbunden und hatten ein gigantisches Imperium gegründet, das von Estancias, Walfangflotten und Schlachthöfen über Bergwerke und Reedereien bis zu Importgesellschaften, Banken und der südlichsten Eisenbahn des Kontinents reichte. Die Ländereien des Familienclans umfassten drei Millionen Hektar – und nach ihrem Willen hätten es gerne noch mehr werden können. Kleinen Estancias boten sie an, zu Spottpreisen ihr Land zu kaufen, und denen, die sich ihnen verweigerten, wurde das Leben schwergemacht.
    »Wie mittelalterliche Feudalherren haben sie sich bis vor kurzem noch hier aufgeführt«, zischte Balthasar. »Als ob ihnen Patagonien ganz allein gehört!«
    »Stell dir vor«, schaltete sich erstmals Arturo ins Gespräch ein, um mit seinem Wissen aufzutrumpfen. »Die Braun-Menéndez’ haben es vor einigen Jahren sogar geschafft, die

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