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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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eines Bügeleisens hatte und darum so genannt wurde, dem Tower Building, das mit seinen dreizehn Stockwerken der erste Wolkenkratzer der Stadt gewesen war, und natürlich dem Broadway.
    »Tino, schau doch nur!«, rief Clara andauernd, doch Tino war so fasziniert von dem Auto, in dem sie fuhren, dass er gar nicht auf die Häuser achtete.
    »Wir hätten übrigens auch mit der U-Bahn oder der elektrischen Straßenbahn fahren können, dann wären wir schneller gewesen«, meinte Christopher.
    »Ich dränge mich doch nicht mit Wildfremden in überfüllte Wagen!«, rief Kate. »Was werde ich froh sein, wenn wir endlich zu Hause sind, ohne dass mir jemand meine Geldbörse gestohlen hat.«
    Die hielt sie auch hier im Wagen fest umklammert – genauso wie stets auf dem Schiff.
    Angesichts des Reichtums der Wellingtons erwartete Aurelia ein äußerst luxuriöses Heim – und wurde nicht enttäuscht.
    Die Fifth Avenue, so wurde Kate nicht müde zu betonen, war ohne Zweifel die beste Adresse New Yorks, die Nachbarschaft erlesen und die Wege zum Sportclub oder Theater nur kurz.
    »Wir haben auch einen Sommersitz auf Long Island – aber den besuchen wir so gut wie nie«, erklärte Christopher.
    »Die Gespräche, die dort im Sommer geführt werden, sind so langweilig wie einst im Gilded Age!«, stöhne Kate.
    »Darf man immer noch nicht über Hosen reden und ›bloody‹ sagen?«, fragte Tino neugierig.
    »Das schon, aber es wird pausenlos über die Wirtschaft und die Folgen des Krieges gefaselt.«
    »Es ist nicht das Schlechteste, wenn sich die gnadenlosen Kapitalisten ein paar Gedanken über die Welt machen«, mischte sich Victoria ein.
    Ausnahmsweise verzichtete Kate auf eine Entgegnung, denn eben waren sie angekommen.
    Das Haus war ein regelrechtes Schloss mit Wandteppichen, Deckenfresken, Buntglasfenstern und diversen Gemälden von Rembrandt, die Kates Vorfahren aus Frankreich importiert hatten. Die Fußböden aus polierter Eiche glänzten genauso wie die walnussgetäfelten Wände, im Renaissancekamin brannte ein behagliches Feuer. Unmengen von Dienstboten standen zu ihrem Empfang bereit und reichten Erfrischungen.
    »Ich liebe unsere Reisen!«, stieß Kate aus. »Aber es ist auch immer wieder schön, heimzukommen.« Sie seufzte genussvoll und wandte sich an Christopher: »Kannst du dich erinnern, wie wir hier auf unserer Hochzeit die Quadrille getanzt haben?«, fragte sie und klang so liebevoll wie sonst kaum.
    Das war für Tino nur ein Ansporn, wieder schrill »Bloody, bloody!« zu rufen.
    »Willst du wohl still sein?«, mahnte Clara.
    Victorias Blick blieb misstrauisch. »Lass dich von diesem Reichtum nicht täuschen«, flüsterte sie Aurelia zu, »New York ist keine wohlhabende Stadt. Die Reichen schwimmen im Luxus, aber die anderen leben in dunklen Mietskasernen …«
    Aurelia hörte an ihren Worten vorbei, sagte selbst nichts und widmete sich dem Anblick der edlen Gemälde. Immer noch war sie sich nicht sicher, was sie hierhergetrieben hatte, aber plötzlich erwachte in ihr etwas, was sich im Gleichmaß der letzten Jahre kaum geregt hatte: unbändige Neugierde darauf, was der nächste Tag wohl bringen würde.

    Seit langem hatte Tiago nicht so viel Elend gesehen wie im Einwandererhafen von New York. Armut gab es zwar auch in London; vor allem seit dem Krieg konnte man kaum über die Straße gehen, ohne dass Bettler, Invaliden und Waisen einem hilfesuchend ihre Arme entgegenstreckten. Aber im Büro von Lawrence, wo er die meiste Zeit verbracht hatte, war nichts davon zu spüren gewesen, und auf den Baustellen war er ausschließlich von jungen, kräftigen Männern umgeben.
    Hier nun auf Ellis Island, gut acht Meilen von Manhattan entfernt, wo die Schiffe aus Europa eintrafen und ihre Passagiere einer strengen Gesundheitsuntersuchung unterzogen wurden, fühlte er sich wie in einem Vorzimmer zur Hölle. Menschen, die halb verhungert oder schon krank ihre Heimat verlassen hatten, wirkten nach den langen Wochen auf hoher See noch ausgezehrter.
    Lawrence hatte ihm abgeraten, das Schiff nach New York zu nehmen. Obwohl es weniger Auswanderer als früher gab, zog es nach wie vor viele Europäer in die Neue Welt, und längst hieß man sie nicht als neue, frische Arbeitskräfte begeistert willkommen, sondern zeigte ihnen durch abfällige Gesten und Worte, wie unerwünscht sie waren.
    »Tu dir das nicht an!«, hatte Lawrence ihn gewarnt.
    Doch das Schiff nach New York war das erste gewesen, das Southampton verließ, nachdem Tiago

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