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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman
Autoren: Carla Federico
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nicht. Ich weiß nur, wenn ich so viele Tiere gehabt hätte, dann wäre ich nicht nach Amerika gekommen.«
    Tiago musste schmunzeln und freute sich, dass der Russe die Einwanderungserlaubnis erhielt, ehe endlich er selbst an der Reihe war.
    Noch mehr als die Tatsache, dass er besser gekleidet war als der Rest und fließendes Englisch sprach, schlug ins Gewicht, dass er nicht in New York bleiben wollte. Prompt wurde ihm der Passierschein ausgestellt – wann das nächste Schiff nach Südamerika den Hafen verließ, konnte man ihm aber nicht sagen.
    Tiago unterdrückte ein Seufzen. Er hatte gehofft, dass er Manhattan gar nicht betreten müsse, doch nun sah es so aus, als müsste er sich auf einen längeren Aufenthalt einstellen.

    Victoria langweilte sich bald im Haus der Wellingtons – ganz anders als Clara, die der viele Luxus sichtlich begeisterte und die die vielen Annehmlichkeiten genoss. Eigentlich missfiel Victoria das, wollte sie doch nicht, dass sich das Mädchen zu sehr daran gewöhnte, aber das strahlende Gesicht rührte sie, und meist biss sie sich auf die Lippen, um sie nicht dafür zu maßregeln.
    Tino wiederum fand großen Spaß daran, die Dienstboten zu provozieren und allerhand Streiche anzustellen – Kate Wellington reagierte mit Strenge, Christopher dagegen war begeistert: Anstatt den Jungen zu mäßigen, stachelte er ihn zu allerlei Unsinn an, bis es Kate eines Tages reichte und sie die beiden aus dem Haus warf. Sie sollten nach Coney Island fahren, wies sie sie an, immerhin läge das nur vierzig U-Bahn-Minuten von Manhattan entfernt.
    Eine Strafe war das ganz gewiss nicht. Tagelang schwärmte Tino hinterher von der Vergnügungsinsel mit den vielen Phantasiegebäuden, Karussells und Lichtkaskaden. Insgesamt zweihundertfünfzigtausend Glühbirnen erleuchteten die Fassaden des Amüsierviertels und zeichneten am Abend grelle Illuminationen auf den schwarzen Himmel.
    Eine schrecklich künstliche Welt, dachte sich Victoria, und eine sinnlose Art, sein Geld auszugeben … Aber wie so vieles sagte sie es nicht laut, sondern gönnte dem Jungen seinen Spaß. Noch mehr gönnte sie Aurelia, dass diese endlich die Aufmerksamkeit bekam, die sie verdiente. Kate empfing viele Gäste, erzählte zum hundertsten Mal von den vielen Abenteuern, die sie auf der Weltreise erlebt hatten, aber auch von der Künstlerin, die sie an einem der einsamsten Orte auf Erden entdeckt hatte. Victoria hatte zwar das Gefühl, dass die meisten weniger an den Gemälden als vielmehr an Aurelias Schicksal interessiert wären, das Kate künstlich überhöht hatte – so wie sie davon erzählte, schien es, als hätte Aurelia aus Kummer um ihren Mann die letzten Jahre als Eremitin verbracht –, aber immerhin betrachtete die Gästeschar die Bilder interessiert. Manches Porträt wurde in Auftrag gegeben, und Aurelia wurde mit allem überhäuft, was sie zum Malen brauchte, feinsten Pinseln aus Chinaborsten oder Iltisschwänzen, teuersten Ölfarben, Leinwänden und Staffeleien.
    In der dritten Woche ihres New-York-Aufenthalts lud Kate zu einer großen privaten Ausstellung ein. Einlass würde nur bekommen, wer eine entsprechende Einladung hatte – dennoch ließ sie auch in Zeitungen dafür werben: nicht, wie sie dreist erklärte, um Leute zum Kommen anzustacheln, sondern um sie neidisch werden zu lassen.
    »So funktioniert die Welt«, erklärte sie eitel, »was die Menschen in Fülle haben, verliert an Wert. Was nur wenigen zuteilwird, gilt als Privileg.«
    Einmal mehr verkniff sich Victoria einen Kommentar – insgeheim froh, dass Kate bei der Ausstellung zwar auch diverse Artefakte und Mitbringsel aus anderen Ländern zeigen wollte, im Mittelpunkt aber ohne Zweifel Aurelias Gemälde Die Farben Chiles stehen würde.
    Victoria freute sich ehrlich für sie, floh allerdings an den Tagen vor dem Empfang oft aus dem Haus, um den ermüdenden Diskussionen um Menüfolge und Kleiderauswahl zu entgehen. Kate ermahnte sie, dass sie am besten in der Nähe der Fifth Avenue bleiben möge, in den übrigen Vierteln wohne nur Pack, und Victoria nickte zwar, hatte aber anderes im Sinn. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt interessierten sie wenig – umso mehr die unterschiedlichen Menschen, die hier lebten. Einen Tag lang tat sie nichts anderes, als mit der Hochbahn mehrmals quer durch Manhattan zu fahren und die Geschäftsleute zu beobachten, die derart unter Druck standen, dass sie zeitunglesend ihren Lunch kauten. Offenbar hatten sie sonst keine Zeit
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