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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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»Schluss jetzt mit diesen Sentimentalitäten!«
    Als Aurelia erneut etwas einwenden wollte, hob sie einfach die Hand und hielt ihr den Mund zu – so wie einst bei ihrer Begegnung in Valparaíso, als Victoria verhindert hatte, dass Aurelia Alarm schlug.
    Als sie sich daran erinnerte, musste Aurelia plötzlich nicht länger weinen, sondern herzhaft lachen.

36. Kapitel
    T iago konnte sich lange nicht entscheiden, wem er als Erstes unter die Augen treten wollte – seinen Eltern oder Andrés. Der Gedanke an beide löste starke Gefühle aus – Wut, Angst, Unbehagen –, doch diese Gefühle glichen einem Kleidungsstück, das zu groß geworden war und am Körper schlackerte: Sie passten nicht mehr zu ihm; sie waren ihm fremd wie Santiago.
    Bis jetzt hatte es Glück, Befriedigung, fiebrige Aufregung verheißen, jeden Tag wieder mehr er selbst zu werden, diese tiefe Vertrautheit zu erleben – mit Aurelia und mit sich selbst – und in Erinnerungen zu schwelgen. Aber an dem Ort, der ihm so lange eine Heimat gewesen war, fühlte er sich fremd. In Aurelias und Tinos Gegenwart war er wieder Tiago, aber als er ohne sie durch Santiagos Straßen ging, fühlte er sich mehr als Jacob Foster, der Architekt, schweigsam, traurig, verloren, gewohnt daran, ständig zu arbeiten, um sich zu betäuben, und streng genug, um schroffe Befehle zu erteilen und Respekt zu gewinnen.
    Er fühlte sich zerrissen, als lebten zwei Menschen in seinem Körper, die niemals Freundschaft schließen konnten, und kaum war er von ihr fortgegangen, sehnte er sich unbändig nach seiner kleinen Familie, die so viel mehr Ausgeglichenheit verhieß. Gerade sein Unbehagen half ihm jedoch, sein Vorhaben umzusetzen, und machte ihn hart genug, sich nicht davor zu drücken. Da war keine Nostalgie, da war nur Entschlossenheit, diese Begegnungen so schnell wie möglich hinter sich zu bringen und frei zu werden – frei von der Zerrissenheit und frei für ein Leben mit Aurelia und Tino.
    Am Ende überließ er es dem Zufall, wem er sich als Erstes stellen würde. Sie waren von Valentina Veliz aufgenommen worden, und von dort ging er zunächst wahllos durch die Straßen. Die Stadt hatte sich verändert, war um vieles größer geworden, und er brauchte eine Weile, bis er die Orientierung fand. Als er endlich wieder in der Lage war, einzuschätzen, in welcher Richtung der Cerro San Cristóbal lag und die Alameda verlief, kam er zum Schluss, dass das Haus der Espinozas näher lag.
    Erstmals befiel ihn tiefer Hass auf Andrés. Bis jetzt hatte er zwar gewusst, was der Freund ihm angetan hatte, doch es hatte ihn seltsam kaltgelassen. Nun regten sich Verbitterung und Ärger, Gefühle, die sich als nicht sonderlich langlebig herausstellten. Sobald er an der Tür klopfte und ihm aufgemacht wurde, wichen sie der Beklemmung. Das Dienstmädchen war ein verhuschtes, schreckhaftes Geschöpf, das ihm kaum in die Augen zu sehen wagte und nicht antwortete, als er nach Doktor Espinoza fragte. Sie ließ ihn eintreten, flüchtete selbst Richtung Küche und überließ es ihm allein, den Weg in den ersten Stock zu finden. Es war eigentlich ein ihm vertrauter Weg, aber er hatte plötzlich das Gefühl, dieses Haus noch nie betreten zu haben – vielleicht, weil diese Erinnerungen noch nicht erwacht waren, vielleicht aber auch, weil hier nichts, gar nichts an einst erinnerte.
    Doktor Ramiro Espinoza hatte immer auf Sauberkeit und unaufdringliche Eleganz Wert gelegt, doch obwohl die Vorhänge zugezogen waren und kaum Licht eindrang, glaubte Tiago zu erkennen, dass auf allen Möbeln dicke Staubschichten lagen und in den Ecken Spinnennetze wucherten. Der Esstisch, das sah er im Vorbeigehen, war nicht abgeräumt, die Eichendielen waren seit Ewigkeiten nicht gewienert worden, das Geländer der Treppe war klebrig. Doch nicht nur der Dreck machte ihm zu schaffen – sondern die bedrückende Atmosphäre, die mehr an ein Mausoleum erinnerte und nicht an ein Haus, wo Menschen lebten, aßen, arbeiteten, lachten.
    »Andrés?«
    Er hatte den ersten Stock erreicht und war in Richtung des Labors gegangen, das sich der einstige Freund hier eingerichtet hatte. Die Tür war nur angelehnt, und er stieß sie auf, aber der Raum dahinter war leer.
    »Andrés?«
    Nichts als Totenstille.
    Er sah im Schlafzimmer nach – erst in dem von Ramiro, dann in dem von Andrés. Beide waren verstaubt, unaufgeräumt – und ebenfalls leer.
    »Ist hier jemand?«, rief er.
    Er hörte trippelnde Schritte und fuhr herum; ein

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