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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Wahrscheinlich war er, obwohl noch jung, Professor, was wiederum bedeutete, dass er ein berühmter Maler war, den alle Welt kannte – nur sie, die abgeschieden in Patagonien aufgewachsen war, nicht. Sie versank in den Anblick seiner blauen Augen so wie damals, und er erwiderte den Blick, ja, lächelte sie sogar an und zwinkerte ihr verschwörerisch zu, indessen er gegenüber Ponce einen strengeren Tonfall einschlug.
    Endlich ließ das Rauschen in Aurelias Ohren nach.
    »Ja, ich werde der Niña Malunterricht geben. Warum auch nicht angesichts ihres überreichen Talents?«
    Trotz allem ehrlichen Respekt für Tiago hatte Señor Ponce seine Fassung wiedergefunden und hielt, wenngleich mit gesenktem Tonfall, dagegen: »Mit Verlaub … diese Bilder scheinen doch keine sonderlich große Kunst zu sein. Sie wirken sehr naiv, und diese Motive, die sie zeigen … Ich meine … Schafe … Patagonien … das ist doch nichts von Bedeutung.«
    Heiß wie ihr Glücksgefühl war Aurelias Wut. Wie konnte er ihre Heimat, ihr Leben, ihre Herkunft derart abtun?
    Sie musste sich nicht rechtfertigen – ein anderer tat es für sie.
    »Paul Gauguin würde es anders sehen«, erwiderte Tiago, »und ich denke nicht, dass Sie auch seine Werke geringschätzen. Nicht auf die großen Ereignisse der Weltgeschichte lenkt er den Fokus seiner Malerei, sondern auf den Alltag der kleinen Leute. Und nicht die zivilisierte Welt ist es, die ihn fasziniert, sondern abgeschiedene Orte wie die Südsee.«
    »Aber mit Verlaub … Mir erscheinen nicht nur die Motive relativ schlicht, sie wiederholen sich auch ständig.«
    »Und seit wann«, entgegnete Tiago, »ist das in der Kunst verpönt? Wie oft malte Cézanne die Badenden, Monet den Wasserlilienteich oder die Kathedrale von Rouen?«
    »So eigenwillig die Vorliebe mancher großen Maler sein mag, sich Motiven der Natur zu widmen«, sagte Ponce, »aber am meisten Beachtung und am teuersten verkauft werden nach wie vor die Historienbilder.«
    »Selbst Pedro Lira hat die Natur für sich entdeckt …«
    »… nachdem er sich als Historienmaler einen Namen geschaffen hat.«
    »Gewiss. Aber ich schlage auch nicht vor, dass Pedro Lira die Niña unterrichtet, sondern ich.«
    Señor Ponces Kiefer mahlten. »Was Sie in Ihrer Freizeit zu tun gedenken, ist natürlich nicht meine Sache.«
    »Aber Ihre Sache ist es, der Niña zu ermöglichen, darüber hinaus ein paar Kurse zu besuchen, sagen wir in Kunstgeschichte und Ästhetik. Es muss ja nicht gleich Aktmalerei sein.«
    Wieder zwinkerte er Aurelia vertraulich zu, und sie fühlte, wie sie errötete. Gerne hätte auch sie etwas beigesteuert – dass man in Patagonien, so abgeschieden es auch liegen mochte, eines lernen konnte: den selbstverständlichen Umgang mit dem nackten Körper nämlich. Aber daran, wie Ponce den Blick senkte, erkannte sie, dass er ohnehin bereits einlenkte.
    »Wie Sie meinen …«, sagte er widerwillig.
    »Den Rest kann ich mit der Niña selbst besprechen – sagen wir bei einer Tasse Kaffee?«
    Als er auf sie zutrat, konnte Aurelia nichts sagen, sondern nur mit trockener Kehle nicken. Als auch sie einen Schritt auf ihn zumachte, schien sie förmlich zu schweben.
    Sie würde hier studieren können, sie würde von Tiago unterrichtet werden! Wovon sie nicht einmal zu träumen gewagt hatte, das fiel ihr schon beim ersten Besuch auf der Escuela förmlich in den Schoß.

    Nach der Visite wurden den neuen Lernschwestern kleine Aufgaben zugedacht, und Victoria, die entschied, dass sie für den heutigen Tag genügend Unruhe gestiftet hatte, fügte sich den Anweisungen.
    Sie rieb einer Patientin die juckende Kopfhaut mit Olivenöl ein und flocht das verfilzte Haar zu zwei Zöpfen, sie entleerte volle Nachttöpfe und reinigte sie, sie machte Betten und wechselte schmutzige Wäsche; sie trug die Temperatur, die Zahl der Pulsschläge und Atemzüge in Tabellen ein. Und schließlich wurde es Mittag und somit Zeit, die Kranken zu füttern.
    Die anderen Schwestern blieben zunächst auf Distanz, und Schwester Adela beobachtete sie misstrauisch, doch als man sah, wie selbstverständlich sie mit den Kranken umging, ohne Scheu und Ekel, der manchen der anderen ins Gesicht geschrieben stand, gewann sie an verlorener Achtung zurück. Viele begegneten hier zum ersten Mal Kranken in dieser Zahl – sie hingegen hatte schon oft schmerzgepeinigte, sterbende Menschen gesehen, in den Armensiedlungen … oder zu Hause, als ihre Eltern verschieden.
    Kurz stieg

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