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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Patagonien muss man erfinderisch sein«, antwortete Aurelia. »Meine Mutter nutzt zum Beispiel Zwiebelschalen zum Gelb- und Braunfärben, und ich habe herausgefunden, dass man den Saft auch für Ölfarben verwenden kann. Oder Kupfervitriol – damit stellt man ein schönes Olivgrün her.«
    »Und was nutzt du als Trägermaterial«, fragte er neugierig. »Kreide oder Tonerde?«
    »Beides. Außerdem arbeite ich viel mit Pflanzensäften, die ich in Wasser oder Alkohol auflöse. Die Beeren des Maulbeerbaums ergeben ein herrliches Blau. Und die Wurzeln und die Bastrinde des Sauerdorns liefern Berberin – für ein Gelb. Und wir haben auf der Estancia ein paar Rosmarinsträuche angesetzt – man kann daraus ein Öl ziehen, und dieses Öl ist sehr gut für den Firnis zu nutzen.«
    »Ich habe gehört, dass es in Patagonien nicht nur rote oder ockerfarbene Erde gibt – sondern sogar blaue.«
    Aurelia lächelte so stolz, als hätte sie selbst dieses wilde Land erschaffen. »So ist es, aber man muss genau wissen, wo man sie sucht. Und natürlich gibt es schwarze Erde. Wobei ich vor allem mit einem Schwarz male, das man aus Kohle herstellt und mit Ton und Straußenfett mischt.«
    Tiago betrachtete erneut fasziniert die Bilder. »Die Farben sind sehr leuchtend!«
    »Und sie halten ewig!«, ergänzte Aurelia stolz.
    »Ich glaube«, er deutete auf die Bilder, »das ist das Revolutionärste, das ich jemals gesehen habe. Nein wirklich! Ich mache mich nicht lustig! Denk an all die großen Maler, die im Moment als die mutigsten und modernsten gelten. Sie alle propagieren die Rückkehr zur Natur, fliehen aus den Städten und den Akademien, gründen eigene Kolonien. Aber all das wirkt immer ein wenig inszeniert … während du in dieser wilden Natur aufgewachsen bist und du deine Farben – nicht wegen irgendwelcher Ideologien, sondern schlichtweg aus Notwendigkeit – aus dieser Natur gewonnen hast.«
    Aurelia senkte den Blick. Sein Lob war ihr etwas peinlich, und sie fürchtete, er würde bemerken, dass sie nichts von Kunsttheorie verstand. Doch plötzlich neigte er sich vor und ergriff ihre Hand. Sie versank in diese hellen Augen, in denen sich so viele Gefühle zeigten, vor allem … Sehnsucht.
    »Versteh mich nicht falsch«, fuhr er fort, »ich gehöre gewiss nicht zu jenen Künstlern, die nur nach Europa schielen. Natürlich gibt es auch in Chile große Maler, wobei ich gar nicht mal so sehr an Pedro Lira denke, obwohl der an der Escuela verehrt wird wie ein Gott. Noch lieber ist mir Juan Francisco González. Und du weißt doch, was diesen auszeichnet?«
    Aurelia nickte, obwohl sie keine Ahnung hatte.
    »Er war einer der Ersten, der das ländliche Umfeld als mögliches Motiv entdeckt hat – anders als Lira, bei dem sich der chilenische Nationalismus vor allem in Historienbildern zeigt. González gilt als Vertreter des Kreolismus und als Erster antiacademico Chiles. Seine Art zu zeichnen erinnert mich an deine. Er verzichtet auf strenge Konturen und setzt stattdessen auf raschen Pinselstrich und lichte Farben. Wirklich, du hast viel mit ihm gemeinsam!«
    »Ich bin doch nur ein Mädchen aus Patagonien«, bemerkte sie schüchtern und entzog ihm sanft ihre Hand. Schon im nächsten Augenblick tat es ihr leid. Es war ein ganz und gar köstliches Gefühl gewesen, von ihm berührt zu werden!
    Tiago lehnte sich wieder zurück, sein Blick schweifte in die Ferne. »Ich war noch nie in Patagonien, aber ich habe gehört, dass es ein Land von unglaublicher Wildheit und Weite sei. Einsam und unwirtlich nennen es die einen – auf verstörende Weise schön die anderen. Ich würde so gerne reisen, durch Chile, durch Südamerika … aber …«, Bedauern trat in seinen Blick, »ich kann leider nicht.«
    Aurelia fragte nicht nach, was er meinte. Als angesehener Maler, der an der Escuela lehrte, hatte er gewiss viele Pflichten, die ihn an Santiago banden. Wenn sie nur wüsste, wie er mit Nachnamen hieß! Wobei – wahrscheinlich hätte sie nicht einmal dann bewerten können, wie berühmt er war, da sie doch auch so viele andere der großen Namen noch nie gehört hatte.
    Die Wehmut schwand aus seinem Blick. Abermals beugte er sich vor. »Aber auch in Santiago gibt es viele Motive. Du lebst noch nicht lange in der Stadt, nicht wahr? Also kann ich sie dir zeigen!«
    Aurelia wurde ganz heiß ob dieses unverhofften Glücks – doch im nächsten Augenblick zögerte sie. Sie sollte ganz allein mit Tiago in der Hauptstadt unterwegs sein?

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