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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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auch schon manche von deren Schriften gelesen. Einige Ziele deckten sich mit denen der Frauenrechtsbewegung und der Sozialisten, aber letztlich waren es Menschen, die gegen alles und jedes waren, unberechenbar, unkontrollierbar und bei Streiks und Demonstrationen am schnellsten gewalttätig. Das hatte auch Jiacinto bewiesen.
    »Komm nachher mit mir zu uns nach Hause«, schlug Rebeca vor, »dann kannst du die beiden kennenlernen«
    Victoria war von dieser Aussicht so begeistert, dass sie nicht bemerkte, wie Rebeca sich vorbeugte und ihr die Phiole mit dem Salvarsan zusteckte.
    »Was … was soll ich damit?«, fragte sie entgeistert.
    »Versteck sie unter der schmutzigen Wäsche, bring sie irgendwohin, wo niemand sie findet. Und wenn wir später das Krankenhaus verlassen, dann nimm sie mit.«
    Sie grinste wieder, aber ihre Augen wurden schmal. Victoria wusste – Rebeca unterzog sie einer Prüfung ähnlich wie Doktor Espinoza, nur dass sie ihren Mut testen wollte, nicht ihr Wissen. Kurz packte sie die Angst, und sie hätte die Phiole am liebsten wieder zurück in den Schrank gestellt. Aber dann trotzte sie Rebecas herausforderndem Blick.
    Sie würde auch bei dieser Prüfung nicht scheitern. Sie würde Jiacinto wiedersehen.

    In der Konditorei an der Plaza de Armas gebe es die besten Anisbonbons, erklärte Tiago, doch nachdem sie Platz genommen hatten, bestellte er nicht diese, sondern Lúcume-Eis – aus einer Frucht gemacht, die einem Apfel glich, deren Fleisch aber orangegelb war.
    Aurelia hatte bis dahin kaum etwas gesagt. Ihr Mund war ganz trocken, und als sie den ersten Löffel Eis probierte, schienen sämtliche Geschmacksknospen ob der Süße förmlich zu zerplatzen.
    »Schmeckt es dir?«, fragte Tiago, dem nicht entgangen war, dass sie ihr Gesicht überrascht verzog.
    Sie nickte und nahm den zweiten Löffel. Das Merkwürdige war – obwohl sie erst wenige Worte mit Tiago gewechselt hatte, kam er ihr so vertraut vor wie ein guter alter Freund, mit dem sie viele Jahre ihres Lebens verbracht hatte und dessen Gesten sie in- und auswendig kannte. Nichts an ihm war fremd, nicht sein freundliches Lächeln, nicht sein aufmerksamer Blick, nicht die Art, wie er sein gewelltes Haar hinter die Ohren zurückstrich, wenn es ihm ins Gesicht fiel. Und als er nun – wie vorhin – ihren Skizzenblock durchblätterte und Bild für Bild betrachtete, da vermeinte sie, dass sie sie alle nur für ihn gemalt hätte.
    Nachdem das Eis aufgegessen war, fiel es ihr nicht länger schwer, die rechten Worte zu finden. Er fragte nach, woher sie einzelne Motive kannte und warum ihre Wahl gerade auf diese gefallen war, und sie war bald in ihrem Element, berichtete eifrig über Patagonien und über die Erdfarben, mit denen sie arbeitete.
    »Und wie stellst du diese Erdfarben her?«
    Sie zögerte zwar kurz, ihn zu erwähnen, waren doch erfahrungsgemäß die Indianer vielen Weißen verhasst, berichtete schließlich aber trotzdem vom Tehuelche Maril, der immer mal wieder auf ihrer Estancia lebte. »Er hat meiner Mutter Rita beigebracht, wie die Tehuelche Stoffe färben, und mir, wie man aus der Erde haltbare Ölfarben herstellen kann.«
    Als sie Rita erwähnte, ging ihr kurz angstvoll ein Gedanke durch den Kopf: Was, wenn Tiago nicht nur erfuhr, dass sie Kontakt mit einem Indianer hatte, sondern selbst von ihnen abstammte, ja, zu einem Viertel Mapuche war?
    Allerdings – ihr Haar war zwar schwarz, aber ihre Haut hell wie seine, und alle Menschen, die sie zum ersten Mal sahen, bestaunten ihre Schönheit und waren nie auf die Idee gekommen, sie könnte keine reinrassige Spanierin sein.
    Auch Tiago starrte sie hingerissen an – und das gab ihr den Mut, ihren Rücken zu straffen und so kokett zu lächeln, wie sie es noch nie getan hatte. Ob sie schön war oder nicht, war bis jetzt nicht von Bedeutung gewesen; in Patagonien gab es wenig Anlässe, um Eitelkeit hervorzukehren; ihre Haare waren stets vom Wind zerzaust gewesen, und ihren Brüdern war es gleichgültig, wie sie aussah. Doch nun genoss sie die Gewissheit, dass sie Tiago gefiel, und sie war froh, dass sie heute Morgen ihr Haar gebürstet hatte, bis es glänzte, ihre Zöpfe fast so perfekt saßen wie Victorias Frisur und sie ihr bestes Kleid trug.
    »Malst du nur mit Erdfarben?«, fragte Tiago. »Oder stellst du auch aus anderen Materialien Farben her?«
    Er hatte sich interessiert vorgebeugt, so dass ihre Hände nur noch ein winziges Stück voneinander entfernt waren.
    »Oh, in

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