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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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jemandem wie mir natürlich streng verboten war.«
    Jemandem wie ihm?
    Sie sagte nichts, blickte ihn fragend an, und da schien ihm aufzugehen, dass er etwas gesagt hatte, was er eigentlich für sich behalten wollte. Sein Gesicht verdunkelte sich kurz, doch dann lief er auf einen Baum zu, zog sich spielerisch an einem der Äste hoch und war flugs auf einen der Bäume geklettert. Aurelia, die mit drei jüngeren Brüdern aufgewachsen und von ihnen zu manch sportlichem Wettstreit angestachelt worden war, zögerte nicht lange, sondern tat es ihm gleich. Mühelos hätte sie die Spitze des Baums erklommen, aber das war wohl wenig damenhaft, und so blieb sie, wie auch er, auf einem der unteren Äste sitzen. Eine Weile blickten sie von dort hinunter auf die Straße, sahen Geschäftsleute mit Zylindern an ihnen vorbeigehen, Damen mit Sonnenschirmen und einen Jungen, der Zeitungen verkaufte. Alle guckten zu ihnen nach oben, als hätten sie den Verstand verloren, weil sie – obgleich erwachsen – auf Bäume kletterten.
    Tiago lachte los, Aurelia auch, und während sie vor sich hin prusteten, verlor sich jede Spannung, so sie denn nach seiner rätselhaften Andeutung über seine Herkunft überhaupt da gewesen war.
    »Ich weiß nicht mehr, wann ich so gelacht habe!«, stieß Tiago aus.
    Sein Gesicht war ihr nach der kurzen Zeit, da sie ihn kannte, schon so vertraut – nun lernte sie einen neuen Ausdruck kennen, einen jungenhaften, übermütigen. Gott, ewig hätte sie ihn anstarren können! Doch er kletterte schon wieder zu Boden und streckte ihr die Hand entgegen, um auch ihr vom untersten Ast zu helfen.
    »Komm – sieh!«, rief er aus. Er ließ ihre Hand nicht los, sondern zog sie ein paar Meter mit sich und deutete in die Ferne. Bereits am Tag ihrer Ankunft hatte sie die mächtigen Berge gesehen, die die Stadt umgaben. Damals waren sie fast mit den Wolken verschmolzen, nun tauchte das weiche Abendlicht sie in helles Violett. Obwohl inmitten der Stadt, fühlte Aurelia, was sie oft in Patagoniens Weite gespürt hatte: dass es etwas gab, was so viel mächtiger, so viel älter als der Mensch war. Winzig klein kam sie sich vor – und zugleich schien es, als wäre sie mit Tiago ganz allein auf der Welt.
    »Wie schön!«
    Dem ehrfürchtigen Staunen folgte das Bedürfnis, diese Berge zu malen, wenn sie auch nicht sicher war, ob sie die richtigen Farben hatte, um das Violett der Gipfel zu treffen oder diese rostroten Scharten, die das schwindende Sonnenlicht in den erblassenden Himmel schlug. Fieberhaft ging sie im Kopf die Farben durch, die sie aus Erde und Öl hergestellt hatte, und erst nach einer Weile spürte sie, dass sie immer noch Tiagos Hand hielt. War sie jemals in ihrem Leben glücklicher gewesen?
    Wind kam auf, blähte ihr Kleid, zerriss das warme Abendlicht in viele kleine Fäden, die alsbald vom sich verdunkelnden Himmel verschluckt wurden. Ohne Zweifel, es war Abend, bald Nacht, eigentlich sollte sie nach Hause gehen. Doch Tiago ließ ihre Hand nicht los und wollte genauso wenig wie sie, dass dieser wunderbare Tag ein Ende fand.
    »Nach diesem langen Spaziergang brauchen wir eine Stärkung«, verkündete er.
    Wenig später saßen sie wieder in einem der vielen Kaffeehäuser – und Aurelia, die noch nie zuvor eines besucht hatte, war überwältigt, es nun zweimal an einem Tag zu tun.
    Sie tranken Limonade, die bittersüß schmeckte. Als sie Platz genommen hatten, hatten sie sich losgelassen. Übermächtig wurde in Aurelia das Verlangen, ihre Hand zu heben und über Tiagos feine, lange Finger zu streichen, aber sie zögerte noch. So nah und vertraut sie sich ihm eben noch gefühlt hatte – nun, da sie beide schwiegen, erwachte wieder etwas Scheu. Der jungenhafte Ausdruck war aus seinem Gesicht verschwunden, und er schien in Gedanken versunken. Überlegte auch er, ihre Hand zu ergreifen? Oder dachte er über etwas ganz anderes nach?
    Als sie den letzten Schluck Limonade trank, fasste sie neuen Mut. Sie hob ihre Hand, wollte seine Finger berühren, ihre mit seinen verschränken, und genau in dem Augenblick ging auch ein Ruck durch seine Hand. Doch ehe sie sich tatsächlich berührten, wurden sie von einer Stimme überrascht.

    »Hier bist du!«
    Obwohl sie nichts Verbotenes gemacht hatten, fühlte sich Aurelia ertappt und zuckte zurück. Als sie aufblickte, stellte sie jedoch fest, dass sie den jungen Mann, der auf ihren Tisch zutrat, kannte.
    »Aurelia … erinnerst du dich an ihn? Das ist mein Freund …

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