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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Andeutungen erklären würde. Doch nachdem er sich mit einem knappen Kopfnicken von seinem Freund verabschiedet hatte und sich an sie wandte, sagte er nichts über seinen Nachnamen oder was es mit seinen Eltern auf sich hatte, sondern fragte nur nach ihrer Adresse, um sie nach Hause zu bringen.

6. Kapitel
    D as Viertel, in das Rebeca Victoria führte, versprach zwar nicht so ein Elend wie der Barrio Misericordia, aber die Straßen waren schmutzig, die Kinder, die vor den Häusern lungerten, auch, und zwischen ihnen stakten Hühner und Schweine und hinterließen noch mehr Dreck. Vor den Fenstern waren Wäscheleinen gespannt, und was daran hing, hatte wenig Ähnlichkeit mit Victorias dunklem Kleid, das zwar einfach, aber frei von Flicken war: nichts als Lumpen, allesamt so oft getragen, dass sie in Fetzen hingen. Rebeca störte sich offenbar nicht daran. Auf Reinlichkeit schien sie grundsätzlich nicht sonderlich viel Wert zu legen, wie Victoria erkannte, als sie die kleine Mietwohnung der Carrizos – so hießen die Geschwister mit Nachnamen – im ersten Stock betraten.
    So dicht hing der Dunst von Zigarren und Zigaretten, dass ihre Augen tränten, und sie unterdrückte ein Husten. Durchdringend wie der Rauch war der Geruch nach Wein und Whisky, und prompt stolperte sie über eine der leeren Flaschen, die vor ihre Füße gerollt war. Sie bückte sich, um sie aufzuheben, und stellte fest, dass der ganze Boden davon übersät war. Keiner von den vielen Menschen, die sich in der Wohnung aufhielten, achtete darauf. Sie lungerten auf durchgesessenen Möbelstücken herum, von denen keins zum anderen passte, lasen, rauchten und tranken oder waren in hitzige Debatten verstrickt.
    Begierig hielt Victoria nach Jiacinto Ausschau, aber sie entdeckte nur Juan – der angehende Jurist, der als Einziger ein wenig skeptisch auf das Chaos starrte.
    Er erkannte Victoria gewiss nicht wieder, schien aber daran gewöhnt, dass ständig Fremde kamen und gingen, und nickte ihr darum zu.
    »Hier!«, sagte Rebeca und drückte ihr ein Glas in die Hand. Seine Ränder waren schmutzig, aber der Rotwein darin roch verführerisch nach Zimt und Orangenschale.
    »Jetzt muss ich mich aber umziehen«, verkündete Rebeca. Victoria erwartete, dass sie sich zu diesem Zweck in einen anderen Raum zurückziehen würde, doch sie hatte keine Scheu, vor allen erst aus ihrem Kleid und dann in eine Hose zu schlüpfen. Es war eine Pluderhose, und obwohl diese so weit geschnitten war, dass man sie aus der Ferne für einen Rock hätte halten können, war Victoria zutiefst fasziniert, zum ersten Mal eine Frau in Hosen zu sehen. Nachdem Rebeca sich mehrere Ketten aus Glasperlen umgehängt hatte, steckte sie eine Zigarette in einen Halter aus Bernstein, ließ sich von einem der vielen Gäste Feuer geben und begann zu rauchen.
    Victoria konnte sie nur fassungslos bestaunen. Sie hatte auch von Frauen gehört, die nicht nur Hosen trugen und mit übereinandergeschlagenen Beinen saßen, sondern obendrein rauchten, aber es mit eigenen Augen zu sehen war befremdend und berauschend zugleich.
    »Warum trägst du dein Haar so kurz?«, fragte sie.
    »Das solltest du auch machen«, lachte Rebeca und blies ihr den Rauch ins Gesicht. »Vor einigen Jahren haben die ersten Frauenrechtlerinnen in Europa damit angefangen.«
    Victoria tastete instinktiv nach ihrem Haarknoten. »Wenn ich sie so schneiden würde, würden sie mir ja doch nur ständig ins Gesicht fallen.«
    »Jetzt sei nicht so entsetzlich vernünftig.« Zwischen zwei neuerlichen Zügen an der Zigarette nahm Rebeca einen großen Schluck Wein und trat dann auf ihren Bruder zu. »Und du, Juan, du auch nicht.«
    Juan hatte sich auf einen der dunklen, tiefen Sofastühle gesetzt. Verglichen mit den Lumpen der anderen war er mit seiner Hose und Jacke aus gestreiftem Cordsamtstoff nahezu elegant gekleidet. »Was soll ich nicht sein?«, fragte er abwesend.
    »Vernünftig!«, schrie Rebeca und deutete mit verdrehten Augen auf das Buch in seinem Schoß, in dem er gerade geblättert hatte. »Du kannst noch so viel lernen – am Ende bleibst du wie unser Vater ein kleiner Jurist, auf den die großen treten.«
    Er zuckte ein wenig hilflos die Schultern und wandte sich erneut seinem Buch zu, aber Rebeca ließ sich das nicht bieten, sondern setzte sich einfach auf seinen Schoß, nahm ihm das Buch aus der Hand und klappte es zu.
    »Du hast doch gesehen, wen ich mitgebracht habe. Sie könnte zu dir passen, sie ist nämlich genauso

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