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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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alles hinter mir lassen zu können. Du sahst den Maler in mir, nichts sonst – und ich will ja auch Maler sein, nichts sonst! Bitte! Ich wollte dich nicht verspotten, mich über dich lustig machen oder dich in die Irre führen – im Gegenteil! Ich wollte einfach … jemand anderer sein. Und ein wenig bin ich dieser andere ja auch, es war nicht alles Lüge.« Er sprach immer erregter und schneller. »Ich schäme mich so, das glaubst du mir doch, oder? Und auch … auch …« Erstmals geriet sein Redefluss ins Stocken. »Und auch, dass ich dich liebe«, brachte er endlich hervor.
    Je länger er sprach, desto heißer war ihr geworden. Die Benommenheit wich von ihr.
    Ich liebe dich doch auch, wollte sie sagen. Ganz gleich, wer du bist, ganz gleich, dass du mir die Wahrheit verschwiegen hast – ich liebe dich von ganzem Herzen!
    Sie kam nicht dazu. Als sie den Mund öffnete, beugte er sich unwillkürlich vor und küsste sie. Es begann zärtlich und sanft, lange ruhten ihre Lippen aufeinander, ohne sich zu bewegen. Doch dann wurde sein Mund fordernder. Sie spürte seine Zunge, kitzelnd, neckend, spürte einen heißen Schauder, der ihr über den Rücken rann und alle unliebsamen Erinnerungen vertrieb. Er hob seine Hände, streichelte über ihre Haare, ihre Schläfen, ihre Wangen, und sie tat es ihm gleich, während sie der forschenden Zunge ihren Mund weit öffnete. Vorsichtig tasteten sie sich aneinander an, fanden rasch zu einem gemeinsamen Rhythmus des Kosens und Neckens und Schmeckens.
    Viel zu schnell war es vorbei. Sie wollte eben seinen Nacken umfassen und ihn enger an sich ziehen, als er sich von ihr löste und sie sanft zurück auf das Kissen drückte.
    »Das … das wird dir zu viel …«, stieß er aus, atemlos und mit gerötetem Gesicht.
    Ihre Hand tastete nach ihren Lippen, die nicht länger trocken waren. Eben noch hatte sie sich glücklich wie nie gefühlt, jetzt überkam sie tiefe Traurigkeit.
    »Dass du mich liebst – das ändert nichts daran, dass du reich bist … und ich arm.«
    Etwas Gehetztes trat in Tiagos Züge, auch etwas Schuldbewusstes. »Ich bin reich, das stimmt. Aber es hat keine Bedeutung für mich. Ich … ich brauche kein Geld, um glücklich zu sein. Ich habe mich bei uns daheim nie wohl gefühlt. Unser Haus ist groß und prächtig, aber es ist zugleich so dunkel. Ich habe mich immer danach gesehnt, den Räumen zu entfliehen, den Himmel zu sehen, die Bäume und die Berge. Ich habe mich nach Schönheit gesehnt. Und du bist das Schönste, das Lebendigste, dem ich je begegnet bin. Niemand wird von mir erzwingen können, dass ich dich aufgebe, niemand!«
    »Aber …«
    Er nahm ihre Hände, drückte sie fest und sprach so schnell weiter, dass er sich fast verhaspelte. »Ich verspreche dir, ich werde keine Geheimnisse mehr haben – nicht vor dir und auch nicht vor meinen Eltern. Ich werde ihnen sagen, dass ich dich liebe.«
    »Aber …«
    Ehe sie einen Einwand hervorbringen konnte, öffnete sich die Tür. Ein weiß gekleideter Mann trat herein, nickte Tiago zu und stellte sich als Doktor Ramiro Espinoza vor.
    Verwirrt sah Aurelia ihn an. Den Namen hatte sie in den letzten Wochen häufig gehört. Er war offenbar Andrés’ Vater – und zugleich der Arzt, über den sich Victoria so oft ärgerte.
    Victoria … wo war sie nur? Hatte sie sich in Sicherheit bringen können?
    Tiago ließ ihre Hände los und sprang auf. »Doktor Espinoza, wie gut, dass Sie da sind! Sie wird doch wieder ganz gesund?« Er wandte sich an Aurelia. »Andrés’ Vater arbeitet eigentlich nicht hier, aber ich habe ihn hierhergebeten. Wir sind im Hospital San Vicente …«
    Aurelia schwirrte der Kopf. Zu viele Gedanken kreisten darin, um sie alle fassen zu können. Andrés’ Vater, den Victoria hasste … Andrés, der ihr von Tiagos Herkunft erzählt hatte … der ihr prophezeit hatte, sie würde keine Zukunft mit Tiago haben … der meinte, dass sie beide viel besser zusammenpassen würden.
    Sollte sie Tiago berichten, was er alles zu ihr gesagt hatte? Aber würde das die Freunde nicht auf ewig entzweien? Hatte sie vielleicht etwas falsch verstanden?
    Eine Sache verstand sie ganz richtig – dass sie für Tiago viel mehr war als ein Zeitvertreib. Dass er zu ihr stand, dass er sie liebte, dass er seinen Eltern von ihr erzählen wollte …
    Doktor Espinoza beugte sich über sie. Sein Lächeln war freundlich, sein Blick weich. Waren das seine wahren Gefühle – oder verstellte er sich, weil Tiago hier

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