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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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war?
    Tiago … der Sohn der mächtigen Brown y Alvarados’ …
    Erst drehten sich ihre Gedanken immer schneller, dann erlahmten sie. Ihr Kopf wurde schwer, ihre Lider auch. Ganz gleich, was geschehen war und noch geschehen würde – das Bedürfnis zu schlafen wurde übermächtig. Und ganz gleich, ob er sie belogen hatte oder nicht – sie fühlte sich sicher in Tiagos Gegenwart, Tiago … dessen Geschmack sie auf ihren Lippen trug …

    Obwohl sie sich die zerzausten Haare gekämmt und zu einem Nackenknoten gebunden und ihr zerrissenes Kleid notdürftig geflickt hatte, fühlte sich Victoria schmutzig. Sie wusste, selbst ein Bad würde nichts daran ändern, denn das würde die Erinnerung an die vielen Hände, die sie gepackt hatten, nicht vertreiben können. An Jiacinto hatte sie immer fasziniert, dass er keinen Wert auf sein Erscheinungsbild legte, seine langen Haare verfilzten, seine Hemden stets voller Flecken waren – doch als jene ähnlich dreckigen Männer sie mit sich gezerrt hatten, hatte sie sich einfach nur erniedrigt gefühlt. Die schwitzenden Leiber hatten in ihr tiefsten Ekel verursacht. Bis zum Schluss hatte sie sich gegen ihre Griffe gewehrt, hatte gebissen, gekratzt, schließlich einem gegen das Schienbein getreten. Als sich eine Flut an Flüchen und Beschimpfungen über sie ergossen hatte, war sie sich sicher gewesen: Jetzt hatte sie sich Feinde gemacht. Jetzt würde man sie – wie angedroht – ins Gefängnis werfen.
    Doch am Ende hatte man sie losgelassen – wohl, weil von anderen Unruhestiftern größere Gefahr drohte als von einem sechzehnjährigen Mädchen und man einem von diesen nachrannte, anstatt sie länger festzuhalten. Die Erleichterung darüber währte nicht lange. Sie fühlte keine Dankbarkeit, endlich frei zu sein, sondern blanke Wut. Wenn sie jetzt eine Pistole in der Hand gehalten hätte, hätte sie nicht gezögert, zu schießen – und auch ohne Pistole hätte sie gerne um sich geschlagen, gedroschen und gebissen, wie Jiacinto es getan hatte. Aber als sie sich umsah, stellte sie fest, dass sich niemand mehr schlug, sondern die Menschen aus der Población flohen, und die Einsicht, die in ihr hochstieg, fiel ernüchternd aus: Sie hatte keines ihrer Ziele erreicht. Sie war nur schmutzig geworden.
    Sie schüttelte sich, und erst, als dieser Rausch von Ekel und Hass und Ohnmacht verflog, erinnerte sie sich an Aurelia.
    Mein Gott, was war passiert? Dieser Schuss … wie schlimm hatte er sie getroffen?
    Hektisch blickte sie sich um. Fast jeder hatte Blessuren abbekommen – blutüberströmt am Boden lag keiner. Dennoch überlief sie plötzlich ein Zittern, und ihr Blick wurde von einem Schleier aus Tränen verzerrt. Sie konnte kaum mehr etwas sehen, lediglich, dass jemand auf sie zugelaufen kam und dieser Jemand Pepe war.
    »Aurelia!«, schrie sie panisch. »Hast du Aurelia gesehen?«
    Sein Gesicht schien schmerzverzerrt wie immer, doch diesmal wirkte er hilflos, nicht bockig. Er schwitzte ähnlich stark wie die Männer, die sie festgehalten hatten, doch vor ihm ekelte sie sich nicht. Sie ergriff beide seiner Hände. »Nun, sag schon …«
    Pepe atmete keuchend.
    »Sie … sie wurde verletzt. Sie haben sie ins Krankenhaus San Vicente gebracht … Meine Mutter ist bei ihr … und dieser Tiago. Er hat Mutter auch davon benachrichtigen lassen, was passiert ist, und diese hat mich wiederum hierhergeschickt, um dich zu suchen.«
    Während er sich vor Widerwillen schüttelte, stiegen widersprüchliche Gefühle in ihr hoch – kalte Angst um das Leben der Freundin, aber auch Zorn, weil Tiago sich früher als sie selbst um Aurelia hatte kümmern können.
    »Lass uns dort hingehen! Beeilen wir uns!«, forderte sie Pepe auf.
    Als sie wenig später ankamen, waren die Gänge des Hospitals überfüllt. Sie sah wenig ernsthaft Verletzte, aber viele offene Platzwunden. In jedem anderen Augenblick wäre das Bedürfnis übermächtig geworden, zu helfen, aber heute war sie einfach nur müde. Ihre Brust schmerzte, jeder Schritt tat weh. Die Erschöpfung verflog erst, als sie Valentina sah. In deren Gesicht stand zwar gleicher Widerwille wie in Pepes – vielleicht vor der Gewalt an sich, vielleicht vor der Tatsache, dass diese Gewalt einmal mehr die Ärmsten getroffen hatte, vielleicht einfach nur, weil sie hierherkommen hatte müssen –, aber zumindest war da kein Entsetzen, keine Trauer.
    »Valentina! Was ist mit Aurelia?«
    Valentina atmete ähnlich schwer wie ihr Sohn. »Sie

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