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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Stimme.
    »Aber, aber Vater. Seit kurzem gibt es doch eine Geschwindigkeitsbegrenzung, an die wir uns alle halten müssen. Und wenn man mit vierzehn Stundenkilometern unterwegs ist, fällt es schwer, einen Fußgänger totzufahren.«
    Aurelia, die starr auf ihre Teetasse geblickt hatte, war nun doch neugierig und sah hoch. Ein junger Mann lehnte lässig am Türrahmen und machte keine Anstalten, näher zu kommen. Aurelia musterte ihn verwundert. Tiago hatte ihr nicht viel von seinem Bruder erzählt, nur dass er der Ältere war und von klein auf dazu erzogen worden, einmal als Haupterbe die Geschäfte seines Vater zu übernehmen. Sie hatte sich ihn ein wenig so wie William vorgestellt – mit ähnlich spitzem Schnurrbart, steifer Haltung, unnahbar und streng. Doch so wie er da an der Tür gelehnt stand, war er gewiss nicht einer, der sonderlich großen Wert auf eine respekteinflößende Körperhaltung legte. Er lächelte anzüglich – so wie William wahrscheinlich schon seit Jahren nicht mehr gelächelt hatte –, und in seinem Gesicht stand jener trotzige Ausdruck, den Aurelia schon manches Mal bei Tiago wahrgenommen hatte.
    »Und übrigens«, fuhr er fort, »mein Auto schafft nicht einmal dieses Tempo. Es bringt bestenfalls zehn Kilometer pro Stunde zustande. Immerhin zählt es zu einem der ersten, die hier in Chile hergestellt worden sind.«
    William ging nicht weiter auf seine Worte sein. »Du warst nicht im Club«, sagte er streng.
    Guillermo löste sich vom Türrahmen, setzte sich jedoch nicht an den Tisch, sondern ging mehrmals im Raum auf und ab »Richtig …«, begann er nachdenklich, als müsste er sich erst mühsam ins Gedächtnis rufen, womit er sich den Tag vertrieben hatte. »Stattdessen war ich bei einem Pferderennen. Leider habe ich meinen ganzen Einsatz verspielt. Ich hoffe, beim nächsten Mal habe ich mehr Glück.«
    Weiterhin war William der Ärger deutlich anzusehen, doch anstatt seinen Sohn für den Wetteinsatz zu maßregeln, begnügte er sich damit, missmutig zu murmeln: »Du weißt, wie wichtig es ist, in diesen Tagen im Club zu sein.«
    Guillermo ließ die Kritik offenbar kalt. Er verdrehte die Augen, warf dann einen Blick auf Aurelia und sprach so selbstverständlich mit ihr, als wäre sie eine alte Vertraute, die er seit Jahren kennt. »Du musst wissen – Vater will unbedingt einen Kongresssitz für mich. Aus irgendeinem Grund, den ich nie verstehen werde, besitzen die Kongressmitglieder außerordentlich hohes Ansehen und gelten als Elite des Landes. Ich möchte nicht wissen, wie viel Bestechungsgeld jährlich fließt – und wie viel mein Vater schon verschwendet hat. Da frage ich mich, ob es nicht amüsanter ist, auf Pferde zu setzen.«
    Er lachte auf, trat dann an den Tisch und schenkte sich ein Glas Sherry ein. Williams Gesicht war noch gerötet, aber wieder ausdruckslos. Alicia nippte an ihrer Teetasse, als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen. Aurelia hingegen wusste nicht, in welche Richtung sie schauen sollte. Guillermos Auftritt war ihr zwar unglaublich peinlich, aber zugleich war sie unendlich froh, dass William nicht länger auf Tiago achtete – Tiago, der ihr in diesem Haus so fremd war, der so angespannt neben ihr saß, so voller Zorn und Ohnmacht. Sie warf ihm einen Seitenblick zu, aber da war nichts zu sehen von diesem fröhlichen, liebenswerten Lächeln, das sie so bezaubert hatte. Er rieb die Lippen so unruhig aufeinander wie William, und am liebsten hätte sie seine Hand genommen, sie gedrückt, ihn beschwichtigt. Natürlich war das unmöglich, und stattdessen führte sie wie Alicia ihre Teetasse zu den Lippen – anders als die ehrwürdige Matrone jedoch mit zitternden Händen. Was, wenn es jemandem auffiel? Was, wenn sie Tiago Schande bereitete?
    Nachdem er seinen Sherry getrunken hatte, ließ sich Guillermo an der Seite seiner Mutter nieder, nahm ihre Hand und küsste sie. Alicia rückte kaum merklich von ihm ab, doch zugleich entging Aurelia das sanfte Lächeln nicht, das für den Bruchteil einer Sekunde auf ihren Lippen erschien. Tiago entging es wohl auch nicht, denn Aurelia spürte, wie er sich noch mehr anspannte – das Zeichen eines unauffälligen Machtkampfs der Brüder, der darum zu kreisen schien, wer den Vater mehr verärgerte und die steife Mutter mehr zu rühren wusste – wobei Guillermo William nun nicht mehr verärgerte, sondern mit fröhlichem Tonfall von einem Geschäftsmann berichtete, den er beim Pferderennen getroffen und mit dem er ein

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