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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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noch so erbost gewesen, dass Tiago sich so viel Dreistigkeit erlaubte?
    Aber dann begriff sie, dass er nur als Erster hatte kommen sehen, was nun passieren würde.
    »Was fällt dir nur ein, du Narr!«, rief William streng. »Mach dich doch nicht lächerlich. Du wirst dieses dahergelaufene Mädchen ganz sicher nicht heiraten.«

11. Kapitel
    V ictoria hasste die Sonntage und die trüben Gedanken, die diese oft mit sich brachten – schlichtweg, weil sie dann genug Zeit hatte, sich den Kopf zu zerbrechen. Während der Woche war sie durch die Arbeit abgelenkt, und manchmal konnte sie auch sonntags Dienst im Krankenhaus machen, doch für gewöhnlich wurde den jungen Frauen freigegeben, damit sie die Messe besuchten, und um nicht zuzugeben, dass sie diese schwänzte, blieb sie besser zu Hause.
    Also hatte sie sich am Morgen angekleidet, sich wie immer frisiert und zu lesen oder zu schreiben versucht. Nun aber starrte sie aus dem Fenster und dachte nach. Seit dem Vorfall in der Población war alles schlimmer geworden. Aurelia und sie hatten sich deutlich entfremdet. Aurelia hatte sie zwar mit keinem Wort für ihre Schussverletzung verantwortlich gemacht, aber Victoria selbst tat es, und wegen des schlechten Gewissens fiel es ihr schwer, der Gefährtin in die Augen zu sehen. Zugleich ärgerte sie sich unendlich über sie, nachdem sie erfahren hatte, dass sie heute bei den Brown y Alvarados’ zum Tee eingeladen war.
    »Von solchen Leuten hält man sich fern!«, hatte sie wütend geschrien. »Kapitalisten sind das, Ausbeuter!«
    Aurelia hatte daraufhin eisig geschwiegen, ihr gar nichts mehr erzählt und im Gegenzug auch nicht nach ihrer Verfassung gefragt.
    Victoria hätte ohnehin nichts Erfreuliches zu erzählen gewusst – nur dass Doktor Espinoza ihr mit seinem lauernden Blick die Arbeit im Krankenhaus erschwerte: Er schikanierte sie, wann immer er konnte, wies ihr die unbeliebtesten Aufgaben zu und nutzte die Visiten, um sie entweder zu ignorieren oder sie mit Fragen in die Enge zu treiben, bei denen selbst angehende Mediziner ins Straucheln geraten wären. Sie schlug sich wacker – was ihn nicht gnädiger stimmte, sondern umso gereizter, und sie ahnte, dass er den geringsten Vorwand willkommen heißen würde, sie zu entlassen. Sie bot ihm keinen, verkniff sich jegliches entnervte Augenrollen oder Naserümpfen und schaffte es mit ihrem Eifer und Wissensdurst immerhin, sich bei manch anderem Arzt beliebt zu machen. Dass dies sie vor Espinoza schützte und er ihr seine Verachtung mit der Zeit nicht mehr ganz so deutlich zeigte, machte die Arbeit wieder etwas erträglicher – nicht aber eine andere Unbill, unter der sie zu leiden hatte: Seit der Demonstration distanzierte sich Rebeca deutlich von ihr. Ihre grünen Katzenaugen funkelten nicht, sondern waren leer und kalt, wenn sie sich auf sie richteten. Sie zürnte Victoria, weil sie in der Población nicht geschossen und ihr somit nicht geholfen hatte, und nannte sie mehr als nur einmal verächtlich einen Feigling. Im Krankenhaus ging sie ihr meist beharrlich aus dem Weg – und Einladungen in die Wohnung der Carrizos blieben aus.
    Victoria zuckte zusammen, als es plötzlich an der Tür klopfte. Bona steckte ihren Kopf herein. »Jemand will dich sprechen«, rief sie knapp und eilte davon, ohne mehr zu verraten.
    Victoria erhob sich – sie war über den unangekündigten Besuch zutiefst verwundert. Noch überraschter war sie, als sie im Eingangsbereich Jiacinto stehen sah.
    Sie fiel fast über die eigenen Beine, als sie hastig die Treppe hinunterlief.
    Jiacintos Kleidung war verlottert wie immer, seine Haare verfilzt, doch die blauen Flecken, die er vom Kampf mit den Polizisten abbekommen hatte, waren nun, nach zwei Wochen, gut verheilt. Auf seiner Stirn bemerkte sie eine Narbe, doch vielleicht war die schon älter, und sie hatte sie nur nicht wahrgenommen, weil sonst seine Haare darüber fielen.
    Seit den gewaltsamen Ausschreitungen hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und sie erwartete instinktiv, dass er sie ähnlich verächtlich behandeln würde wie Rebeca, doch als er sie sah, lächelte er – ein wenig spöttisch zwar, aber nicht unfreundlich. Sie starrte ihn mit trockenem Mund an und brachte kein Wort hervor. Welche Macht es auch immer war, die er über sie ausübte – sie atmete schneller und begann zu zittern.
    »Juan hat mich auf die Idee gebracht, du könntest mir helfen«, sagte er seinerseits ohne Gruß.
    Victoria schwieg weiterhin, dankte aber im

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