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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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einen Sozialisten wie Recabarren?«
    »Weil er durchaus ein paar kluge Gedanken in seinem Werk La Reforma formuliert hat.«
    Victoria nutzte die Chance, ihn zu beeindrucken: »Das Buch ist vor zwei Jahren veröffentlicht worden«, erklärte sie schnell.
    Als Jiacinto erneut spöttisch die Augenbraue hochzog, fuhr sie hastig fort: »Es geht das Gerücht, dass Recabarren sich von den Demokraten abspalten wird und eine eigene sozialistische Partei gründen will.«
    »Kluges Mädchen«, lachte er.
    »Wie er zur Frauenfrage steht, gefällt mir nicht so gut«, erklärte sie, »für ihn sind die Frauen nur dazu da, die Männer zu unterstützen, einen gerechten Lohn zu kriegen. Ihre eigenen Interessen scheinen ihm weniger wichtig.«
    »Und vor allem erwartet er vom Staat Erlösung. Als genügten ein paar Reformen, um aus der Welt eine gerechte zu machen. Ich aber sage dir: Der Fisch stinkt vom Kopf her.«
    »Aber was willst du tun? Dem Fisch nur den Kopf abschlagen? Damit ist doch keinem gedient. Und nicht alle Anarchisten lehnen Reformen von schon bestehenden Gesetzen ab wie du. Warum sonst wären sie an der Gründung vieler Gewerkschaften beteiligt, wenn nicht, um die Verhältnisse zu verändern und diese nicht einfach bloß zu zerstören!«
    »Die alte Frage – wenn ich verdorbenes Fleisch habe, reicht es dann, die schlechten Stellen abzuschneiden und den Rest zu braten? Oder ist es besser, ich schlachte ein neues Tier?«
    Victorias Wangen hatten sich sanft gerötet. Jiacinto diskutierte mit ihr … auf gleicher Augenhöhe … und sie war allein mit ihm in einem Raum …
    Sie konnte ihr Glück kaum fassen.
    Damit das Gespräch nicht abriss, suchte sie ein neues Thema: »Du kannst nicht leugnen, dass grundlegende Veränderungen den Menschen Angst machen. Dass es oft hilfreicher ist, für das Mögliche zu kämpfen, statt das Unmögliche zu fordern. Ich denke an das Thema Ehe. Reicht es nicht, sich dafür einzusetzen, dass jeder Gatte, sei es der Mann oder die Frau, das Recht und die Freiheit hat, sich jederzeit scheiden zu lassen? Muss man so weit gehen wie ihr Anarchisten und gleich die Abschaffung der Ehe fordern?«
    Jiacinto blickte sie nachdenklich an. Sie erwartete, dass er seine Meinung dazu sagte, doch stattdessen brach er in schrilles Gelächter aus.
    »Das ist nicht lustig!«, rief sie erbost.
    Sein Gelächter erstarb. »Das Leben wird aber leichter, wenn man es als großes Spiel sieht. Was nutzt es, stets ein ernstes Gesicht zu ziehen und über Politik zu reden, als hielte man auf einer Beerdigung ein Loblied auf den Toten? Aber ich wollte dich nicht verspotten, wie ich schon sagte, du bist ein kluges Mädchen. Was ist denn deine Meinung?«
    »Wozu?«
    »Zur Ehe – braucht es sie oder nicht?«, fragte er gedehnt.
    Victoria fühlte sich kurz wie im Krankenhaus, wenn Espinoza ihr Fragen stellte und nur darauf wartete, dass sie die Antwort nicht wusste.
    »Es ist zu bedenken, dass die Ehe eine Frau auch schützt«, setzte sie überlegt an, »schafft sie doch die Sicherheit, dass sie für die Kinder nicht allein sorgen muss. Aber ich fordere strikte Gütertrennung. Dass die Frau, ob mit oder ohne Ehemann, die Möglichkeit hat, Geschäfte abzuschließen. Und natürlich die Möglichkeit der Scheidung.«
    »Nach der sich ein Mann problemlos eine neue Frau suchen kann, während die Frau als beschädigte Ware gilt.«
    Sie nickte. »Das ist natürlich ein Problem. Aber bedenke, wie viele ungeliebte Frauen in unserem Land einfach ermordet wurden, solange keine Scheidung möglich war.«
    »Nun, aber du«, bohrte er nach, »wie stellst du dir dein Leben vor? Suchst du einen Gatten? Was ist es, was du willst?«
    Immer mehr Hitze war ihr in die Wangen gestiegen. Schweißnass waren ihre Hände. Sie wusste nicht genau, was sie in diese Erregung versetzte – dass er mit ihr redete oder schlichtweg, dass sie nun schon so lange mit ihm allein war.
    Langsam trat er an ihre Seite, vermeintlich nur, um zu sehen, wie viele Blätter sie schon vervielfältigt hatte. Sie drehte sich ihm zu, stand so dicht vor ihm wie vorhin, als sie ihm die Zigarette weggenommen hatte.
    »Also«, fragte er mit hochgezogener Braue, »was willst du vom Leben?«
    Mit trockenem Mund rang sie nach Worten. Als ihr keine einfielen, stellte sie sich einfach auf die Zehenspitzen, umfasste seinen Nacken und zog sein Gesicht an ihres. Sie hauchte einen Kuss auf seine Lippen, einen hastigen, verschämten. Kaum spürte, schmeckte sie ihn, wich sie auch schon

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