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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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jemanden, der ihm Orientierung gibt. Den Vater ersetzen kann ich ihm nicht, aber den Vater so lang wie möglich am Leben halten – das kann ich.«
    Victoria schüttelte empört den Kopf und deutete auf Valentinas Artikel. »Wenn die Frau dem Mann intellektuell ebenbürtig ist – warum soll dann dem Kind eine Mutter allein nicht genügen, um Führung und Halt zu finden?«
    Valentina kicherte – ein ungewohntes Geräusch aus ihrem Mund.
    »Ach, die Menschen sind seltsam!«, stieß sie aus und schüttelte wie Victoria den Kopf, nicht wütend wie diese, sondern eher resigniert. »Sie hoffen das eine, aber tun das andere. Sie glauben an vieles und verraten ihre Ideale im nächsten Moment. Ich kann Pepe so manches nicht geben, und ich weiß, dass er bei mir nicht wirklich glücklich ist. Er ist zu träge, etwas daran zu ändern, und ich bin zu träge, ihn hinauszuwerfen, obwohl ich’s tun sollte, damit er endlich erwachsen wird. Das mindeste, was ich tun kann, ist, ihm einen Vater zu schenken, auch wenn dieser tot ist. So fühle ich mich weniger schuldig – sowohl gegenüber Francisco, weil ich mich nicht mehr an ihn erinnern kann, als auch gegenüber Pepe, weil der so schwächlich ist. Es macht mir das Leben leichter, und ich rede mir ein, ihm auch. Unser beider größtes Laster, musst du wissen, ist die Bequemlichkeit.«
    Victoria runzelte die Stirn, nicht sicher, ob sie Valentina richtig verstand und ob deren verquere Aussagen die Wahrheit oder nur ein Vorwand waren, noch verquerere Gefühle zu vertuschen.
    »Tu, was du willst«, sagte sie scharf. »Aber wirf mir nicht vor, dass ich jemandem hinterherlaufe, solange ich nur laufe. Ich bin nämlich nicht bequem.«
    Valentina seufzte. »Da hast du auch wieder recht, Mädchen«, erklärte sie gleichmütig.
    Victoria fühlte sich verstanden und doch wieder nicht, ernst genommen und zugleich im Stich gelassen. Für ihre Gefühle für Jiacinto wollte sie sich nicht rechtfertigen – aber darüber reden, mit wem auch immer, wollte sie schon, notfalls mit einer Frau wie Valentina, obwohl oder gerade weil sie so phlegmatisch war.
    Doch ehe sie etwas sagen konnte, stürmte Pepe in das Hinterzimmer der Bibliothek.
    »Schnell, schnell!«, rief er, vor ungewohnter Hast keuchend. »Aurelia ist gerade von den Brown y Alvarados’ zurückgekehrt. Und nun packt sie ihre Sachen. Sie will von uns gehen – und lässt sich nicht aufhalten.«

    »Was, zum Teufel, machst du denn da?«, fragte Victoria verwirrt, nachdem sie in ihr Zimmer gestürmt war.
    Aurelia sah nicht hoch. »Ich packe«, erklärte sie schlicht.
    »Das sagte Pepe schon, aber …«
    Aurelias Blick blieb stur auf ihre Tasche gerichtet, in die sie wahllos Kleidung und Malutensilien stopfte. Erst als auch Valentina erschien, sah sie auf, und die vermeintliche Entschlossenheit, die sie eben noch an den Tag gelegt hatte, wich Scham und Verwirrung.
    »Es war so schrecklich«, stammelte sie ein ums andere Mal, »es war so schrecklich …«
    »Was?«, fuhr Victoria sie an.
    »Tiago … seine Eltern … es kam zu einem schrecklichen Streit. Anfangs waren sie noch höflich zu mir, aber am Ende …« Sie erschauderte, als die Erinnerungen sie überwältigten. »Sie haben mich einfach hinausgeworfen! Und zu Tiago haben sie gesagt, dass er nicht wiederzukommen braucht, wenn er mir folgt! Aber er ist mir gefolgt. Und ich weiß nicht, ich weiß einfach nicht …«
    Sie geriet immer mehr ins Stammeln.
    Victoria verdrehte ungeduldig ihre Augen. »Was weißt du nicht?«
    »Sie weiß nicht, ob sie sich darüber freuen soll oder nicht«, schaltete sich Valentina ein.
    Victoria unterdrückte einen verächtlichen Kommentar. »Nun gut«, meinte sie, »aber wenn er sein Elternhaus verlassen hat – warum packst du dann deine Sachen?«
    Aurelia atmete tief durch. Das Zittern, das ihren schmächtigen Körper durchlaufen hatte, legte sich ein wenig. Sie schloss die gepackte Tasche und umfasste energisch den schmalen Ledergriff.
    »Weil ich mit ihm gehe«, erklärte sie. »Ich … wir werden heiraten.«
    Sie schaute Victoria unverwandt an. Ein wenig Hilflosigkeit stand in ihrem Blick, aber auch grimmige Entschlossenheit und – Liebe.
    Victoria konnte nicht fassen, was sie da hörte. »Heiraten?«, schrie sie. »Du willst einen Mann der Oberschicht heiraten? Den du erst seit wenigen Wochen kennst? Bist du vollkommen verrückt geworden? Hast du den Verstand …«
    »Na, na.« Mahnend legte ihr Valentina die Hand auf die Schultern,

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