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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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um sie zu beschwichtigen. »Das ist Aurelias Entscheidung, nicht deine. Wobei …« Als sie sich an Aurelia wandte, klang auch ihre Stimme etwas zweifelnd, »wobei ich mir nicht recht vorstellen kann, ob ihr alles bis zum Ende durchdacht habt. Wo … wo wollt ihr überhaupt wohnen, wenn Tiago nicht mehr nach Hause kann?«
    Aurelia nickte, als hätte sie die Frage schon kommen gesehen. »Es ist alles geklärt. Doktor Espinoza hat sich bereit erklärt, uns aufnehmen. Tiago hat mit Andrés geredet, und der hat sich bei seinem Vater dafür eingesetzt, uns als Gäste …«
    »Zu den Espinozas!«, unterbrach Victoria sie schrill. »Ausgerechnet!«
    Aurelia ließ die Tasche los und eilte zu ihr. Flehentlich blickte sie sie an. »Ich weiß, ich weiß, du hast es im Krankenhaus nicht leicht mit ihm. Aber zu mir war er sehr freundlich, und Andrés ist Tiagos bester Freund.« Sie rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Freust du dich denn gar nicht für mich? Zumindest ein bisschen? Gewiss, es ging alles so schnell, ich wollte nicht, dass Tiago mit seinem Vater bricht, und ich hoffe so sehr, dass er sich eines Tages wieder mit seiner Familie versöhnt. Aber trotz allem – ich liebe ihn doch so sehr. Ich … ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als ihn zu heiraten.«
    Victoria hatte Tiago nur einmal von weitem gesehen und konnte sich nicht an sein Gesicht erinnern. Als er jetzt vor ihrem inneren Auge erstand, glich er der jüngeren Version von Doktor Espinoza. Wobei – Tiago war etwas viel Schlimmeres. Espinoza war zwar ihr persönlicher Feind, aber zumindest ein hart arbeitender Arzt, ein Vertreter der Mittelschicht. Die Brown y Alvarados’ dagegen waren … sie überlegte kurz, wie Jiacinto sie nennen würde, und kam recht bald zum Ergebnis: Die Brown y Alvarados’ waren Kapitalisten der schlimmsten Sorte. Sie standen für unverhältnismäßigen Reichtum, der nicht zuletzt dank der Ausbeutung der Arbeiter angehäuft worden war.
    »Die Brown y Alvarados’ gehören zur Oberschicht!«, schrie sie und spie das Wort förmlich aus.
    Aurelia tastete nach ihrer Hand, aber Victoria zuckte zurück. »Ich liebe ihn doch nicht seiner Familie oder seines Geldes wegen, und ihm selbst bedeutet es gar nichts, dass er …«
    Victoria war taub für ihren Einwand. »Die gente decente sind widerwärtige Menschen. Es heißt, sie leben ihren Hedonismus wie Religion. La canalla dorada nennt man sie auch, die vergoldete Kanaille. Geldgierig sind sie, mitleidlos, nur auf das eigene Wohl bedacht. Sie raffen an sich, was sie können, und treten die Rechte anderer mit Füßen. Der Reichtum, den sie nicht zuletzt durch den Nitrathandel erlangt haben, zerstört alle ihre Tugenden.«
    Sie redete sich immer mehr in Rage. Speicheltröpfchen, die aus ihrem Mund flogen, benetzten Aurelias Gesicht.
    »Na, na«, versuchte Valentina sie wieder zu mäßigen, aber Aurelia konnte sich selbst verteidigen: »Sag, hast du mir nicht zugehört? Tiago hat meinetwegen mit seiner Familie gebrochen! Wenn er geldgierig wäre, dann würde er doch alles tun, was sein Vater sagt. Gewiss würde er mich nicht heiraten und seine sichere Zukunft riskieren.«
    Victoria hörte ihre Worte gar nicht. Der tiefe, lebendige Hass von Jiacinto hatte sie immer ein wenig befremdet, und dieser Genuss an roher Gewalt noch mehr, doch nun packte sie selbst so große Wut, dass sie ihn verstand. Sie dachte nach, was sie an Schlimmem über die canalla dorada gehört hatte: »Allein auf ihren Europareisen geben sie zwanzigtausend Dollar nur für Hotels aus. Davon könnten Hunderte Arbeitern jahrelang leben. Und sie sind so dekadent, dass sie den Wein aus dem Ausland importieren, anstatt ihn in Chile zu kaufen.«
    »Tiago interessiert sich nicht für Wein. Er ist Künstler! Er ist Maler!«
    »Das bist du auch! Darin liegt dein größtes Talent! Und darum sollte dein Leben kreisen! Nicht um so ein verwöhntes Bübchen aus reichem Haus. Ist er denn wirklich Maler? Wie viele Ausstellungen hat er schon gehabt? Wie viele seiner Bilder verkauft? Jemand wie er kann alles sein, was er will, nicht dank seines Könnens, sondern dank seines Geldes. Er ist einer, dem man Zucker in den Arsch …«
    »Na, na«, mischte sich Valentina zum wiederholten Male ein und hob mahnend ihre Hände, »in meinem Haus sprichst du nicht solche Worte aus.«
    Irritiert über die Unterbrechung, schnappte Victoria nach Luft, und diese kurze Pause nutzte Valentina, um sich an Aurelia zu wenden. »Weißt du,

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